Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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10. August 2005 Poes Gesetz

Extreme Aussagen im Internet, so ironisch gemeint sind, werden immer wieder wortwörtlich genommen. Unvermeidbar ohne entsprechende Kennzeichnung als Satire, meinte Nathan Poe und formulierte Poes Gesetz. Autorin: Yvonne Maier

Stand: 10.08.2020 | Archiv

10 August

Montag, 10. August 2020

Autor(in): Yvonne Maier

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Vor einigen Jahren veröffentlichte die Webplattform "Der Postillon" einen Artikel. Es ging um die ungeheuerliche Nachricht, dass extremreligiöse Fanatiker, Salafisten, den Frauen das Tragen von Brüsten verbieten wollten. Ja, von Brüsten. Und sie hätten ab jetzt eine Woche Zeit, um diese abzulegen. Skandal! Ein Eingriff in - ja, in was denn nun? Unsere freiheitliche Grundordnung? Frauenrechte? Unsere Biologie? Und überhaupt - wie sollte das überhaupt gehen?

Offensichtlich unoffensichtlich

Regelmäßige Leser der Webplattform haben über den Artikel herzlich gelacht - denn der Postillon ist eine Satire-Webseite. Und ehrlich gesagt, das ist ja auch so eine absurde Geschichte, die kann man doch gar nicht ernst nehmen, oder? Oder doch?

Was die Artikel des Postillon mit allen anderen Veröffentlichungen von ironischen oder gar satirischen Texten gemeinsam haben: Wer die Ironie versteht, der kann kaum nachvollziehen, wie man darauf hereinfallen kann. Wer die Ironie nicht sieht - der geht davon aus, dass das, was da steht, ernst gemeint ist. Und unter dem Brüste-Verbots-Artikel reiht sich ein empörter Kommentar nach dem anderen - beziehungsweise: vermutlich empört. Manche könnten nämlich selbst auch schon wieder Satire und Ironie sein …

Auch am 10. August 2005 hat ein User eines christlichen Internetforums dasselbe festgestellt: Nathan Poe nannte er sich dort. Und sein Post unter eine Diskussion über Kreationismus wurde berühmt. Mehr noch, sie wurde zu "Poes Gesetz", einem der 10 wichtigsten Internetgesetze, wie die Zeitung "The Telegraph" befand.

Nathan Poe schrieb: "Ohne einen zwinkernden Smiley oder eine andere offensichtliche Darstellung von Humor ist es absolut unmöglich, einen Kreationisten so zu parodieren, dass niemand es für einen echten Beitrag hält."

Bitte mit Smiley

Und die Vorfälle um den Artikel um das Brüste-Verbot einige Jahre später zeigt, dass Poes Gesetz immer noch Bestand hat. Immerhin: Man könnte die Ironie mit dem Zwinkersmiley kennzeichnen, genau wie er es vorschlägt.

Also: Salafisten wollen das Brüste-Tragen verbieten - Zwinkersmiley! Die Frage ist, ob das funktionieren würde. Denn schon vor der Erfindung des Internets wurden ja schon ironische und sarkastische Texte verfasst, auch in Satirezeitschriften, bei denen eigentlich klar war, dass das alles nicht ernst gemeint war. Eigentlich! Doch falsch verstanden wurde alles schon immer. Im Jahr 1899 hat ein Franzose sogar ein Ironie-Satzzeichen erfunden, ein spiegelverkehrtes Fragezeichen, um diesem Treiben ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Der analoge Zwinkersmiley sozusagen. Doch das kam gar nicht gut an. Denn der Reiz von Ironie sei ja gerade dieser Schwebezustand zwischen - meinen die das jetzt ernst, oder ist das ein Witz?

Und der Zwinkersmiley kann sogar missbraucht werden. Denn wenn man zum Beispiel ernsthaft etwas Beleidigendes posten will, dann ist der Zwinkersmiley die perfekte Ausrede - "War doch alles nur Spaß, hast du den Zwinkersmiley nicht gesehen?!" - aber ob das wirklich so gemeint war, kann man wieder nicht feststellen. Und darum müsste man Poes Gesetz vielleicht abändern in: "Ohne einen zwinkernden Smiley oder eine andere offensichtliche Darstellung von Humor ist es absolut unmöglich, einen Kreationisten so zu parodieren, dass niemand es für einen echten Beitrag hält - aber vielleicht meint derjenige es trotzdem ernst. Keine Ahnung." Zwinkersmiley.


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