Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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21. November 1953 Piltdown-Mensch als Täuschung entlarvt

Die Briten waren begeistert, als die spärlichen Überreste eines Urmenschen beim Dorf Piltdown in Sussex auftauchten. Älter als der Neandertaler sollten die Funde sein. Dann kam heraus: alles Schwindel! Autorin: Sarah Kosh-Amoz

Stand: 21.11.2019 | Archiv

21 November

Donnerstag, 21. November 2019

Autor(in): Sarah Kosh-Amoz

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Im Mai 1908 machte der Amateurarchäologe Charles Dawson eine schier unglaubliche Entdeckung: Eine Kiesschicht bei Piltdown im englischen Sussex entpuppte sich als reich bestückte Fundgrube. Neben Schädelresten, einem Unterkiefer mit zwei Backenzähnen sowie einem Eckzahn, fand man Reste fossiler Säugetiere. Das Ganze deutete auf ein hohes erdgeschichtliches Alter hin und verriet: Dieser Menschenaffe, der sofort zum "Piltdown-Mensch" deklariert wurde, sollte tatsächlich älter sein als der Neandertaler. Demnach war der älteste damals bekannte Mensch, der Piltdown-Mensch, also ein Brite!

Urzeitlicher Nationalstolz

In einer feierlichen Sitzung der Geological Society wurde der Ur-Brite in London der Öffentlichkeit präsentiert, vorgestellt als der "wirkliche Ahne der Menschheit". Und die englischen Naturforscher begrüßten diese These freudig. Die Entdeckung von Piltdown war ein weiterer Beweis dafür, dass es doch schon immer die Engländer waren, die auf so vielen Gebieten die Nase vorne hatten. Jetzt durften sie also auch noch bei der Entwicklung des Menschengeschlechts eine maßgebliche Rolle spielen.

So viel Selbstgefälligkeit blieb natürlich nicht ohne Neider und erst recht nicht ohne Zweifler: Vor allem im Ausland fielen die Widersprüche auf: Man munkelte, dass Unterkiefer und Schädelreste von zwei verschiedenen Arten stammten, nämlich vom Affen und vom Menschen. Außerdem erklärte ein Mediziner, dass, so wie Kiefer und Schädel zusammengesetzt worden waren, für Luft- und Speiseröhre überhaupt kein Platz mehr war. Der Piltdown-Mensch hätte merkwürdigerweise also weder atmen noch essen können.

Scherz, Schwindel oder Dummheit?

Der Fall wurde trotz heißer Spekulationen "als noch zu lösendes Problem" beiseitegeschoben, bis in den 50er-Jahren der junge Anatom Joseph Weiner aus Oxford erneut den Sherlock Holmes der Wissenschaft spielte: Und siehe da:

Mittels einer neuen Technik, mit der man das Alter der Fossilien bestimmen konnte, sowie durch weitere chemische Tests von Geologen und Paläontologen des Britischen Museums, wurde das Rätsel am 21. November 1953 gelöst: Der Piltdown-Mensch ist eine Kombination aus dem Kiefer eines Affen und dem Schädel eines Menschen. Keineswegs also ein Wunder der Natur, sondern ein sensationeller Schwindel!

Die Entlarvung des Piltdown-Menschen als Fälschung erregte beträchtliches Aufsehen. Die Kompetenz der Treuhänder des Britischen Museums wurde stark angezweifelt und es gab ein großes Gelächter, als der Lordsiegelbewahrer wörtlich erklärte: "Als die Regierung ans Amt kam, hatte sie so viele Skelette zu untersuchen, dass sie noch keine Zeit gefunden hat, ihre Untersuchungen auf Schädel auszudehnen."

Der Urheber der Fälschung ist bis heute nicht bekannt. Eine wohlwollende Erklärung ist die, dass der Fälscher den Schwindel als Scherz inszeniert hatte und damit rechnete, dass Fachleute ihn sofort als solchen erkennen würden. Als er dann sah, was er angerichtet hatte, zog er es vor, sich nicht mehr zu melden.

Was bleibt, ist die Ernüchterung der Engländer und die Erkenntnis: Der Piltdown-Mensch hat mehr über die Eitelkeit der modernen Briten verraten, als über die Herkunft des Frühmenschen.


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