Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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9. Juli 1927 Pflug von Walle entdeckt

Vergraben im ostfriesischen Torfmoor: 1,70 Meter Erdreich konservierten mehrere Jahrtausende lang ein wichtiges Dokument der Menschheitsgeschichte: das älteste landwirtschaftliche Gerät Deutschlands. Für den "Pflug von Walle" brauchte es nur einen Menschen und einen Ochsen. Autorin: Christiane Neukirch

Stand: 09.07.2021 | Archiv

09 Juli

Freitag, 09. Juli 2021

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Ostfriesland, das ist für viele ein Ort der Träume: Träume von weißen Stränden, Watt und Meer, vom Sommerurlaub auf der Insel. Heute ist der Nordwesten Deutschlands eines der beliebtesten Urlaubsziele der Republik. Romantisch muten sie an, die Fischerdörfer mit den bunten Krabbenkuttern oder die kleinen Höfe aus rotem Backstein – wie Farbtupfer in der flachen grünen Landschaft.

Unromantische Inselrealität

In den 1920erjahren war in den nördlichen Breiten Deutschlands von Romantik noch nichts zu spüren. Das Leben an der Waterkant war hart, das Land dünn besiedelt. Arbeit in Kälte, Nässe, Sturm und Gefahr, das prägte die Menschen. Ihr Unterhalt stützte sich auf Fischerei und Landwirtschaft. Und dann war da noch das Moor.

Das Torfmoor war das Herz der Region. Ein unheimlicher Ort, wenn Nebel und Regen die Sicht verstellten und der Wind mit hohler Stimme die Fantasie der Menschen anfachte. Düstere Geschichten von Gespenstern und zwielichtigen Gestalten rankten sich um die Schilfe. Doch das Moor war auch die wichtigste Quelle für Energie: Torf in den Öfen heizte die Häuser. Und so gingen Torfstecher jeden Tag ins Moor, um ihre kräftezehrende und eintönige Arbeit zu verrichten. Mit einem Spaten stachen sie Blöcke aus dem Boden und luden sie auf Schubkarren.

So machte sich auch Jann Hanßen im ostfriesischen Walle bei Aurich am Morgen des 9. Juli 1927 an die Arbeit im Tannenhausener Hochmoor. Doch anders als sonst stieß er im faserigen Torfboden plötzlich auf Widerstand. Es war ein Stück Holz, daneben noch eins und noch eins. 20 Stücke förderte Hanßen zutage. Er hätte sie einfach zu Feuerholz erklären können, doch er stutzte: das sah aus wie etwas Menschengemachtes. Lieber mal den Lehrer fragen, sagte ihm sein Bauchgefühl.

Pflug von Walle

Das Gefühl hatte Recht, denn der Fund entpuppte sich als kostbar. Die Kombination der Teile ergab einen Pflug: einen langen Holzgriff mit einer hölzernen Pflugschar daran, angefertigt vor mehr als 3500 Jahren, in der Bronzezeit. Der so genannte "Pflug von Walle" ist das älteste landwirtschaftliche Gerät Deutschlands, und es ist ein Beweis dafür, dass Menschen schon damals begannen, der harten Handarbeit mit Technik nachzuhelfen. Die kleinen Rillen, die das Holz in den Boden ritzte, haben mit den tiefen Ackerfurchen von heute nicht viel gemein, aber man konnte immerhin Samen hineinlegen und davor schützen, vom Winde verweht zu werden. Ein Meilenstein der Landwirtschaft: in kürzerer Zeit konnten größere Äcker angelegt werden, die wiederum mehr Menschen ernährten. Dörfer und Siedlungen wuchsen.

Der Bedeutung nach zu urteilen hätte Jann Hanßen ein ordentlicher Finderlohn gebührt; doch nur 50 Reichsmark, etwa 200 Euro, gab es dafür; und das musste er noch mit dem Grundstückseigentümer teilen.

Immerhin beantwortet der Fund auch die Frage: wie viele Ostfriesen braucht es, um einen Pflug zu bedienen? Antwort: einen, plus einen Ochsen. Wer harte Arbeit gewöhnt ist, der kann mit einem einfachen Hilfsgerät schon viel erreichen.


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