Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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31. Januar 2012 Owen Luder, Architekt, beklagt Verlust seines Gesamtwerks

Der Traum eines Architekten ist es sicherlich, seine ersten Bauwerke entstehen zu sehen. Und dann weitere. Zum Albtraum wird es, wenn wie im Fall von Owen Luder später dauernd die Abrissbirne kommt. Autorin: Prisca Straub

Stand: 31.01.2020 | Archiv

31 Januar

Freitag, 31. Januar 2020

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Der Mann hat wirklich eine Menge ausgehalten. Sein Leben lang. Die Begegnung mit Abriss-Birnen war für den britischen Architekten ein wiederkehrender Albtraum. Über Jahre hinweg hat Owen Luder unzähligen Baggerschaufeln in den gierigen Schlund geblickt. Ja, voller Abscheu, aber doch stets mit erhobenem Haupt. - Immer, wenn mal wieder eines seiner Bauwerke in Schutt und Asche gelegt wurde.

Noch in den 1960ern und 70ern wurde Owen Luder als der Architektur-Pionier Großbritanniens gehandelt - streng geometrische Formen, schmucklose Funktionalität. Als Vertreter des sogenannten "Brutalismus" stand der Londoner Baukünstler für Aufbruch in eine mobile Konsum-Gesellschaft, wurde mit Dutzenden von Projekten betraut: Shopping-Center, Wohnblöcke, Parkhäuser. Die Zukunft schien damals glanzvoll - und sie bestand aus nacktem, unbekleideten Beton. Quer durch England baute Owen Luder weithin sichtbare, monumentale Wahrzeichen dieser neuen Zeit. Echte "landmarks".

Bröckelnder Beton

Doch selbst knallharter Beton kann kurzlebiger sein, als gedacht: Das nasskalte englische Wetter macht einen Strich durch Luders Karriere. Nach wenigen Jahrzehnten sind von den einst stolz in den Himmel ragenden "Wegbereitern der Moderne" nur noch schmutzig-graue Kolosse übrig. Der Beton - verwittert; die Substanz platzt auf, Regenwasser sorgt für hässlich-braune Spuren. Von den Bewohnern längst im Stich gelassen, haben Tauben die Anwesen übernommen.

Dann wird es ernst für Luder. Die Abriss-Bagger rücken an. 2004: In der südenglischen Hafenstadt Portsmouth wird sein "Tricorn Centre" abgerissen, ein gigantisches Shopping-Ensemble mit Night-Club, Casino, Pub und Parkhaus. Der "Guardian" hatte es zum "hässlichsten Bauwerk Großbritanniens" gekürt - "a real eyesore", ein echtes Augenleiden. Der Erbauer erträgt es mit Fassung - er findet das vor sich hinbröckelnde Ungetüm "skulptural."

Doch es geht weiter, Schlag auf Schlag: 2007 trifft es das wuchtige "Southgate Shopping Center" in Bath an der englischen Westküste. Kurz darauf wird dann auch der siebengeschossige "Trinity Square Car Park" in Gateshead, einer Arbeiterstadt im Nordosten Englands abgetragen. Luder hatte gegen den Beschluss vergeblich gekämpft, dann aber doch den ergrauten Haarschopf in die Fernseh-Kameras gehalten und verkündet: Gerade als Architekt müsse man natürlich mit der Zeit gehen…

"The Rocket" muss weichen

Kurze Zeit später ist es um Owen Luders Tapferkeit endgültig geschehen: Am 31. Januar 2012 geht es seinem letztem verbliebenen Großbauwerk an den Kragen, dem "Derwent Tower", einem wuchtigen, 29-stöckigen Hochhaus. In den frühen 70ern galt "The Rocket" - die gut 100 Meter hohe Beton-Rakete von Gateshead - als Wahrzeichen. Jetzt gammelt sie vor sich hin - "shabby", unansehnlich. Luder beschwört "schützenswertes Kulturgut" und warnt vor "Lynch-Mob-Mentalität". Doch auch "The Rocket" muss weichen.

Und Owen Luder? Er ist inzwischen dem "Rubble Club" beigetreten, dem Geröll-Klub. Eine Interessensvereinigung von Architekten, deren beste Werke zu ihren Lebzeiten abgerissen wurden. Da Luders Gesamtwerk betroffen war, erhielt er sogar den "Rubble Club Award" - eine besondere Auszeichnung für die Trümmer seines Architektenlebens.


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