Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. Juni 1949 Orwells "1984" erscheint

Wer immer kritisch vor Gefahren hinsichtlich von Tendenzen hin zu einem Überwachungsstaat warnen möchte, der führt einen Romantitel im Munde: "1984" von George Orwell. Die "alternativen Fakten" der Trump-Regierung brachten es 2017 in den USA wieder auf Platz 1 der meistverkauften Bücher. Autorin: Justina Schreiber

Stand: 08.06.2022 | Archiv

08 Juni

Mittwoch, 08. Juni 2022

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Kann Literatur die Welt verändern und vielleicht sogar zu einem besseren Ort machen? Also, mal ehrlich ... wohl eher nicht. Wenn man bedenkt, wie oft George Orwells Roman "1984" bislang verkauft wurde, seit er am 8. Juni 1949 in London erstmals erschien.  Millionenfach! Sein Erfolg war also einerseits durchschlagend.

Alle sind gleich - manche sind gleicher

Aber andrerseits nützte es bisher offenbar rein gar nichts, dass Sätze aus Orwells berühmtesten Buch sogar zu geflügelten Worten wurden, wie: "Alle sind gleich - nur manche sind gleicher als andere" oder dieses bedrohliche "Big Brother is watching you!" Sowohl der Titel "1984" als auch der Künstlername des Autors, der ja ursprünglich Eric Arthur Blair hieß, kursieren noch dazu als gängige Metaphern. Das ist ja wie bei Orwell! Und jeder oder jede weiß, was damit gemeint ist: nämlich die totale Überwachung durch ein totalitäres System, das Spitzel und Wanzen, Folter und Haft einsetzt, um möglichst viele Menschen ideologisch unter Kontrolle zu bringen. Nicht ohne Grund standen Besitz und Lektüre von "1984" in der DDR unter Strafe.

Das Buch erlebte immer wieder eine Renaissance, weil reale Ereignisse an die düstere Fiktion erinnerten, etwa als die Sprecherin des einstigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump von "alternativen Fakten" sprach. Das ließ doch stark an "Neusprech" und "Doppeldenk" denken, an die Umdeute-Praktiken, die in George Orwells Dystopie dazu dienen, die Wahrheit im Sinne der postsozialistischen Parteielite von Ozeanien komplett zu verdrehen. Dort hält zum Beispiel das für Frieden zuständige Ministerium einen Dauer-Krieg am Laufen.

Ja, so kann es enden, mahnt die Geschichte des Winston Smith, der die Parteidoktrin zunehmend kritisch sieht. Aber sein wachsender innerer Widerstand bleibt der Gedankenpolizei selbstverständlich nicht verborgen. Eine Gehirnwäsche belehrt Winston dann eines "Besseren".

Die traurige Wirklichkeit einer düsteren Zukunftsfantasie

George Orwell schrieb das Buch mit letzter Kraft gewissermaßen auf dem Sterbebett zu Ende. Die Botschaft war ihm wichtig: passt bloß auf! Wie schnell können wir alle persönlichen Freiheiten verlieren, von der Denk- über die Rede- bis hin zur Bewegungsfreiheit, wenn feige Funktionäre die Macht missbrauchen. Ob der Journalist und Schriftsteller ahnte, dass "1984" Jahrzehnte nach dem Titelgebenden Datum aktueller denn je sein würde? Dass die katastrophale Gegenwart einer damals noch fernen Zukunft die düsteren Fantasien aus der Epoche des beginnenden kalten Krieges weit übertreffen würde?

Nicht nur, dass die "Big Brothers" unseres digitalen Zeitalters über Daten von Milliarden gläserner Bürger und Bürgerinnen verfügen! Parallel zu den realen gewalttätigen Auseinandersetzungen finden heute ja auch gigantische Propagandaschlachten statt, von Troll-Armeen angezettelte Cyberwars. Große Verunsicherung ist das Ziel: Was und wem kann man überhaupt noch glauben??? Als sei George Orwells letztes Buch als Anleitung oder Anregung missverstanden worden! Es ist zum Verzweifeln. Manchmal möchte man sich nur noch mit einem guten Roman ins Bett verkriechen, um all den Wahnsinn für ein paar Stunden zu vergessen. Es sollte dann wohl besser nicht "1984" von George Orwell sein.


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