Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. November 1881 Operndiva Eulalia Kadmina vergiftet sich aus Eifersucht auf der Bühne

Exzentrisch, launisch, leidenschaftlich – dann wieder traurig, reuevoll, klein. Eine echte Diva eben: Eulalia Kadmina. Auf der Bühne funktioniert das mit der Diva wunderbar, im echten Leben nicht so recht. Also muss das echte Leben auf die Bühne! Autor: Simon Demmelhuber

Published at: 4-11-2021 | Archiv

04 November

Donnerstag, 04. November 2021

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Eulalia ist ein seltsames Kind: Verspielt, verträumt, verschlossen, aber auch widerspenstig, stets zu Zornausbrüchen geneigt und kleinen, lustvoll zelebrierten Grausamkeiten. Die Schwestern spielen mit Puppen, Eulalia spinnt sich ein in Bücher und Geschichten. Sie ist 13, als der Vater ihre Kindheit für beendet erklärt. Ein Internat in Moskau soll sie zur Gouvernante ausbilden. Hier zeigt sie statt pädagogischer Talente zwei auffällige Gaben: eine warme, volltönende Stimme und einen Hang zum dramatischen Auftritt.

Auf dem Weg zur Diva

Entdeckt und gefördert durch Peter Tschaikowsky wechselt die Siebzehnjährige aufs Konservatorium, studiert Gesang, debütiert bravourös, singt erst in Moskau und bald darauf am Petersburger Marinski-Theater. Mitte der 1880er Jahre ist Eulalia bereits DIE KADMINA, der neue Stern am russischen Opernhimmel. Sie lebt sich auf der Bühne rückhaltlos aus, leuchtet, glänzt, sprüht Feuer und Leidenschaft. Doch da ist noch etwas. Etwas Flackerndes und Bedrohliches: eine überhitzte, rachsüchtige Kränkbarkeit, die weder Kompromisse noch Vergebung oder Milde kennt.

Vulkan, brodelnd. Immer.

Nach außen dringt davon wenig. Da ist sie ganz Primadonna, kühl, unantastbar, launisch, nur dem eigenen Gesetz und Willen unterworfen. Affären? Klar! Exzesse? Und wie! Allüren? Jede Menge! Die Kadmina eckt an, pfeift auf Regieanweisungen, sprengt Proben, schmeißt zornig hin, knallt Türen, schmollt, gelobt tränenreich Besserung. Da capo, la diva!

Alles ist da: Ruhm, Erfolg, Bewunderung. Nur kein Glück in der Liebe. Geht immer schief, passt nie. Doch dann passiert es.

Während eines Engagements in Charkow verliebt sich Eulalia in einen feschen Offizier. Diesmal ist es der Richtige. Diesmal ist es die wahre, die schicksalhaft himmelhochjauchzende ewige Liebe!

Die Seligkeit währt nicht lange. Der Auserwählte ist zwar von Adel, aber schrecklich schlecht bei Kasse. Er bändelt hinterrücks mit einer reichen Erbin an, gibt Eulalia den Laufpass und bestellt - o schändlicher Willoughby! - das Aufgebot.

Die Kadmina steckt den Schlag weg, betäubt sich mit Arbeit. So steht sie auch am 4. November 1881 in Charkow auf der Bühne, spielt wilder denn je. Als ihr Blick in einer ruhigen Szene das Parkett mustert, erkennt sie ihren abgesprungenen Liebhaber und neben ihm, so zugeneigt, so strahlend und innig, die schöne, junge Braut.

Der Schlag zerstößt ihr Herz. Eulalia kennt das, hat es tausendmal gelesen, tausendmal gespielt, den rauschenden, bittersüßen Liebesschmerz einer Dido, Julia, Kleopatra. Sie bringt den Akt zu Ende, taumelt, alles wund, alles weh, in die Pause. In ihrer Garderobe findet sie Streichhölzer, löst die Phosphorköpfe in Tee auf, schluckt das Gebräu, geht zurück auf die Bühne, blitzt in die Runde, wankt, stürzt.

Entsetzen: Licht! Vorhang! Schnell! Sechs Tage lang ringen die Ärzte um ihr Leben. Eulalia verweigert die Behandlung, gibt das Sterbebett als letzten, gipfelnden Bühnentriumph. Als der Schlussvorhang fällt, hat sich die Kadmina in eine unsterbliche Opernlegende verwandelt, größer und prächtiger als das Leben selbst.


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