Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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22. Januar 1909 Neue Künstlervereinigung München gegründet

Marianne von Werefkin versammelte in ihrem "rosafarbenen Salon" in Schwabing Künstler, um die Neue Künstlervereinigung München zu gründen. Dass sie Wassily Kandinsky nicht von Anfang an einweihte, sollte Folgen haben. Autorin: Katharina Hübel

Stand: 22.01.2021 | Archiv

22 Januar

Freitag, 22. Januar 2021

Autor(in): Katharina Hübel

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Eine raffiniert eingefädelte Intrige, eine gute Portion juristischer Sachverstand und ein gelungener Marketing-Coup – das klingt genauso wenig nach inspiriertem Künstlertum wie – eine Vereinsgründung. Dabei beginnt alles recht glamourös: Anfang des 20. Jahrhunderts, im illustren Salon der russischen Baronin Marianne von Werefkin, in der Giselastraße 23 in München. Eine Grande Dame, die den exzentrischen Auftritt liebt, eine wilde Ehe führt und visionäre Ideen hat. Sie pflegt intellektuelle Zirkel, sinniert über eine neue Art von Kunst… Ideen zu Form, Farbe und das Abstrakte – eine Wegbereiterin des Expressionismus.

Genialer Nörgler

Aber ER stahl ihr die Show: Wassily Kandinsky. Vielleicht, weil er durchaus beleidigt war. Als nämlich die Baronin von Werefkin am 22. Januar 1909 die Neue Künstlervereinigung München e. V. gründet, wird Kandinsky nicht mit einbezogen. Obwohl er regelmäßiger Gast und von der Baronin hochgeschätzt ist. Kandinsky reagiert verschnupft. Er wird dennoch gerne Erster Vorsitzender – und entwirft das Logo: ein Berg in Dreiecksform. Bald schon gibt es eine Ausstellung in der Theatinerstraße 7. Nicht nur die Münchner Maler, auch Gast-Künstler wie Alfred Kubin stellen aus, die Vereinigung zeigt Bilder, die von El Greco und Gauguin beeinflusst sind. Befremdlich für das Münchner Publikum, das damals gerne im eigenen Saft schmort. "Unheilbar geisteskrank" schreiben die Kritiker, "skrupellose Hochstapler", "Konzentrierter Unsinn". Auch die zweite Ausstellung 1910, bei der unter anderem Pablo Picasso und Georges Braque Bilder zeigen, kam nicht besser an.

Nur einer findet die abstrakten Gemälde gut: ein Provinzmaler aus dem Pfaffenwinkel. Franz Marc. Und der ist fortan auch mit dabei in der Neuen Künstlervereinigung München. Und damit beginnt die Intrige. Kandinsky bekommt einen Verbündeten. Marc und Kandinsky sind beide recht radikal in ihren Ideen, im Gegensatz zu anderen Vereinsmitgliedern.

Kandinsky wird zum unangenehmen Dauernörgler: Hier passt ein Zettelchen nicht, dort ist die Wandfarbe nicht genehm. Er zermürbt die anderen regelrecht mit Kleinigkeiten.

Der Blaue Reiter des Jüngsten Gerichts

Und plant mit Franz Marc heimlich eine eigene Ausstellung: den "blauen Reiter". Und dafür brauchen sie einen Marketing-Coup. Ein spektakuläres Zerwürfnis, von dem alle in München sprechen würden, richtiggehend "Zoff", wie Kandinsky es formuliert. Da kommt es ihm zu Pass, dass er als gelernter Jurist eigens die Vereinsklauseln entworfen hat. Und dabei geschickt ein Hintertürchen eingebaut hat: Die so genannte "Vierquadratmeterklausel". Sie besagt, dass jedes Vereinsmitglied das Recht hat, eigene Werke auszustellen, sofern sie zusammengerechnet nicht größer sind als vier Quadratmeter. Und was macht Kandinsky, um seinen Rauswurf zu provozieren? Er bepinselt FÜNF Quadratmeter – und wird satzungsgemäß abgelehnt. Ob der Titel "Das Jüngste Gericht" ironisch gemeint war, wer weiß. Der "erhoffte Krach" zumindest folgt auf dem Fuß. Der 2. Dezember 1911 wird damit zum Anfang vom Ende für die Neue Künstlervereinigung München. Und der Beginn des "Blauen Reiters", der in die Kunstgeschichte eingegangen ist.


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