Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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10. Juni 1934 Mythos von Shangri-La begründet

Shangri-La: Ein Ort in Tibet, wo die Menschen in Frieden und Harmonie leben, ein Synonym für das Paradies – und leider nur eine Fiktion des Autors James Hilton. Autor: Justina Schreiber

Stand: 10.06.2020 | Archiv

10 Juni

Mittwoch, 10. Juni 2020

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Shangri-La – allein schon die Melodie der Silben klingt verheißungsvoll. Schän-gri-la! Wie schön lässt sich das singen, trällern, rufen! Schän-gri-la! Kein Wunder, dass sich weltweit Läden, Restaurants und Hotels so nennen: Shangri-La. Der Name ist Programm. Er steht beileibe nicht für ein indisches Currygericht oder eine feine Thaimassage.  Vielmehr schwebt Eingeweihten (und es sind wohl Millionen!) nicht mehr und nicht weniger als ein, nein! das fernöstliche Paradies schlechthin vor Augen, wenn die drei Silben erklingen: Shangri-La.

Der Sehnsuchtsort

Wie eine Fata Morgana zeigt sich dann ein Lama-Kloster in den Bergen Tibets, ein fernöstlicher Garten Eden, in dem die Menschen in Harmonie miteinanderleben, angeleitet von weisen Mönchen, die Entschleunigung und Muße predigen. Das heilige Tal Shangri-La! Wenn der Name erklingt, dann schmerzt es die Zivilisationsmüden krisengebeutelter westlicher Gesellschaften doppelt und dreifach, dass sie sich wegen des Geldes an Bürostühle fesseln lassen.  Während in Shangri-La die wahren Güter verhandelt werden. Nämlich geistige. Auf nach Shangri-la! Man könnte auch sagen: auf nach Utopia! Denn die Kunde vom Hort der Gelassenheit im Hochland Tibets brachte kein inspirierter Abenteurer nach Europa. Was echte Shangri-La-Experten wohl nicht weiter überrascht. Denn, wer einmal dort ist, will gewiss nie wieder fort. Beziehungsweise muss vermutlich schnellstens zurück. Wie ja auch die Geschichte von Hugh Conway lehrt: Der britische Konsul in Afghanistan soll ein Krankenhaus im chinesischen Chung-Kiang bei Nacht und Nebel verlassen haben, um Richtung Nordwesten aufzubrechen. Höchstwahrscheinlich Richtung Shangri-La!

Preisgekrönte Utopie

Ob er sein Ziel erreichte, steht in den Sternen. Der britische Journalist James Hilton ließ das Ende seines Romans offen.

Das Buch mit dem Titel "Lost Horizon", "Der verlorene Horizont" war zunächst zwar nur mäßig erfolgreich. Als James Hilton aber am 10. Juni 1934 in London dafür den renommierten Hawthornden-Preis erhielt, gewann der sagenhafte Hype um Shangri-La plötzlich an Tempo. Nicht nur, dass der nunmehrige Bestseller in 34 Sprachen übersetzt wurde und als eins der ersten Paperbacks auf den Markt kam. Der Regisseur Frank Capra sicherte sich die Rechte und drehte mit "In den Fesseln von Shangri-La" einen oscarprämierten Film, der die frohe Botschaft vom idealen Zufluchtsort 1937 an die Massen brachte. Es traf den Nerv einer Zeit zwischen zwei Weltkriegen: Wie Hugh Conway, sein Stellvertreter, eine britische Missionarin und ein Amerikaner in der isolierten Lamaserei Shangri-La stranden und hier erfahren, was wirklich wichtig ist im Leben. Nicht Macht, nicht Kampf, nicht Druck, nicht Zwang, nicht Hetze. Sondern Mäßigung, Gleichmaß und – wenn man so will – Leere. Tja, auch wenn es im wahrsten Sinn eine Ent-Täuschung ist: der Mythos einer fernöstlichen Gegenwelt verdankt sich den Projektionen sehnsüchtiger Medienkonsumenten. Wie viele machten sich seither tatsächlich auf, ihr Glück im Himalaya zu finden? Gut nur, dass China 2001 der planlosen Sucherei ein Ende machte. Der Kreis Zhongdian, Hauptort der Autonomen Tibetischen Präfektur Deqen, heißt jetzt per Dekret von ganz oben: Shangri-La.


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