Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. August 1892 München führt den Fahrradführerschein ein

Rücksichtslose Radl-Rambos sind ein unangenehmes, relativ neues, Phänomen unsrer Zeit? Keineswegs. Deshalb führte München bereits 1892 einen Führerschein für Radfahrer ein. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 03.08.2020 | Archiv

03 August

Montag, 03. August 2020

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

"Pass auf, dass'd koane fangst, du Watschngsicht, du rinnaugerter Radldepp, du!" Der Ton ist rau. Und leicht haben sie es wirklich nicht, die Radpioniere der Prinzregentenzeit. Schon gar nicht in München. Die Stadt wächst rasant, es wird eng in der Isarmetropole. Fuhrwerke, Hand- und Schubkarren, Fiaker, Pferdetram, Reiter und Fußgänger rumpeln eh schon oft genug ineinander. Und jetzt auch noch die Malefizradler! Überall schlängeln und drängeln sie sich durch, brettern mit Karacho um die Kurven, schleichen sich hinterrücks lautlos an, schrecken Passanten auf, jagen brave Bürger vom Trottoir.

Fluchen, drohen, an die Hauswand batzen

Doch nicht bloß verstörte Flaneure, auch die Fuhrleute und Kutscher jammern. Das ungewohnte Geklingel und Geflitzte macht die Tiere narrisch. Hunde bellen sich heiser, Rösser scheuen, Pferde gehen durch. Da bleibt bloß die oft erprobte dreistufige Radler-Basisbelehrung: erstens fluchen, zweitens drohen, drittens in den Graben abdrängen oder gegen die Hauswand batzen.

Das ist nicht schön! Außerdem braucht der Mensch eine Ordnung, weil er sonst tut, was er will. Darum erlässt die königliche Polizeidirektion in München am 3. August 1892 eine Vorschrift, die den Velozipedwildwuchs bändigen soll. Ab jetzt braucht jedes Rad zwei gut sichtbare, polizeilich registrierte Nummernschilder. Fahren dürfen damit aber ausschließlich Personen, die eine auf ihren Namen und das benutzte Vehikel lautende Velozipedkarte besitzen. Die gibt es für Kinder unter dreizehn erst einmal gar nicht; Jugendliche zwischen dreizehn und achtzehn sowie Frauen können sie ausnahmsweise erwerben, sofern der Vater, Vormund oder Ehemann einwilligt. Ausgestellt wird die Fahrerlaubnis allerdings nur, nachdem sich die Polizei davon überzeugt hat, dass der Anwärter lenken und bremsen kann, ohne Leben, Gesundheit und Vermögen seiner Mitmenschen zu gefährden.

Nicht rasen, rennen, rempeln!

Die nötigen Fertigkeiten vermitteln an die 100 Münchner Velo-Clubs und ein Dutzend kommerzieller Fahrschulen in Vereinsheimen, Wirtshaussälen oder eigens erbauten Etablissements. Der Lehrstoff ist anspruchsvoll: Aufsteigen, oben bleiben, bremsen, ausweichen, abbiegen, möglichst sturzlos absteigen. Gar nicht so einfach ohne Freilauf und Rücktrittbremse. Kein Wunder, dass sich der fett gedruckte Zusatz "säulenfreies Schulungslokal" als echter Werbeschlager erweist.

Aller Anfang ist schwer, blaue Flecken gehören dazu, aber irgendwann hat jeder den Bogen raus und macht sich zuletzt auch mit den Pflichten eines approbiert königlich bayerischen Pedalritters vertraut. Rücksicht gegen andere Verkehrsteilnehmer ist das oberste Gebot! Also nicht rasen, nicht rennen, nicht rempeln, nicht rüpeln, stets bremsbereit und angepasst fahren! Wie gut, dass uns Heutigen diese Grundsätze in Fleisch und Blut übergegangen sind. Welche Wohltat, dass auf unseren Straßen allenthalben Vernunft und Gemeinsinn walten. Wie angenehm, dass Rechthaberei und Rauflust ganz aus der Mode gekommen sind. Und ist ein Sünder doch einmal gefallen, führt sanftes Mahnen ihn zur Pflicht: "A Packerl Watschn is glei aufgmacht, host mi, du Hirsch, du damischer!"


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