Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. September 1504 Michelangelo präsentiert seine David-Statue

Am 8. September 1504 wird Michelangelos David auf dem Palazzo Vecchio enthüllt. Das Bild eines idealen Mannes - klug, elegant und mit einem Sixpack als Bauchpartie; und ein Bild aus Stein, sonst hätte der ideale Mann seine lässige Körperhaltung nicht bis heute ohne Haltungsschäden überstanden. Autorin: Astrid Mayerle

Stand: 08.09.2022 | Archiv

08 September

Donnerstag, 08. September 2022

Autor(in): Astrid Mayerle

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Das wesentliche Kriterium guter Kunst, so will es jener Ableger der Philosophie, der sich Ästhetik nennt, das wesentliche Kriterium sei ihre Vieldeutbarkeit, ihre potenzielle Unendlichkeit in der Summe aller Assoziationen und Interpretationen, die sie beim staunenden Betrachter hervorzulocken vermag. Michelangelos David - darauf haben sich die Kunsthistoriker geeinigt -, gehört zu jenen besonders qualitätvollen, ja zu den allerherausragendsten Stücken.

Wenn es alle sagen, muss es ja gut sein

Tatsächlich stimuliert dieser mit Sockel fünfeinhalb Meter messende Marmorjüngling allerhand Spekulationen, und man kann auch einiges Allgemeinbildende an ihm studieren, etwa dass es einen genetischen Zusammenhang zwischen der Struktur des Haupt- und der des Schamhaars geben muss, wie in der Antike jenes Muskelschema aussah, dass man heute Sixpack nennt, wie man dem Feind - wer es auch immer sein mag - unerschrocken ins Auge sieht, aber auch zu welchen Haltungsschäden eine ungleich ponderierte Körpergewichtung führen kann. Die Folgen dessen, was die Kunstgeschichte einen klassischen Kontrapost nennt, den Gewichtsausgleich des Körpers durch Stand- und Spielbein, wären im wirklichen Leben ernsthafte Meniskusprobleme, Wirbelschäden, Rückenverspannungen und eventuell Senkspreizknickfüße.

Echt jetzt?!?!

Womit wir beim Sinn des Ganzen wären, beim Ideal, also bei jenem Nadelöhr, durch das es nur dann ein Hindurchkommen gibt, wenn der ganze Wust an Wirklichkeit abgestreift ist und wir uns ganz und gar auf die Vorstellung einlassen, dass es ihn doch gibt - den vollkommenen Mann: gleichwohl schön wie klug, ebenso wachsam im Augenblick wie zukunftstauglich, jede Muskelfaser durchtrainiert und selbstverständlich von einer unübertrefflichen geistigen Eleganz - und wie gesagt das Ganze ohne Kreuzschmerzen und Plattfüße.

Die Bibel erwähnt David, diesen idealen Mann mehr als fünfzig Mal, und man erfährt von ihm ganz Unterschiedliches, nicht nur, dass er es war, der den Riesen Goliath mit seiner kleinen Steinschleuder maßgeblich verletzte und außer Gefecht setzte. David, der künftige König von Israel und Juda war auch, wie es in den Psalmen heißt, mit "lauterem Herzen" und "mit klugen Händen" ausgestattet. Möglicherweise die entscheidende Passage für die "Arte de la Lana".

Die Florentiner Wollweberzunft beauftragte Michelangelo mit einer Marmorstatue, ließ den Marmor aus Carrara herbeischaffen und die fertige Statue am 8. September 1504 feierlich vor dem Palazzo Vecchio aufstellen.

Allen Interpretationsspekulationen zum Trotz: David sollte das Symbol der freien, selbstbewussten Stadt Florenz darstellen.

Am Tag der Aufstellung, kam jener Staatsbeamte vorbei, der genau diesen Marmorblock, aus dem Michelangelos David gehauen war, ursprünglich einem anderen Künstler zur Verfügung stellen wollte. Er bemäkelte die seines Erachtens zu große Nase der Figur. Worauf Michelangelo auf das Gerüst stieg, in die linke Hand den Meißel nahm, in die rechte ein wenig Marmorstaub, den er langsam herabrieseln ließ und zwar ohne auch nur die geringste Veränderung an der Physiognomie seines Davids vorzunehmen. Giorgio Vasari überliefert in seinen Künstlerbiografien den Ausgang der Geschichte: Michelangelo fragte den Staatsbeamten anschließend nach seiner Meinung.

Der sagte: "Was mich anbelangt, so gefällt sie mir besser, ihr habt ihr Leben gegeben!" Michelangelo stieg lächelnd von seinem Gerüst herab, legte das Werkzeug ab und ersparte sich jeden weiteren Kommentar. Sicher würde ihn auch das Urteil eines bodygebildeten Betrachters heute wenig interessieren - genauso wie irgendwelche orthopädischen Korrekturmaßnahmen.


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