Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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14. November 1957 Mafia-Gipfel in Apalachin

Ein Besuch, ganz zufällig, bei einem guten Freund. Und zufällig sind da auch noch andere zu Gast. Gut 100. Und durch die Bank sind es Größen der Unterwelt. Dubios, findet die New Yorker Polizei. Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 14.11.2019 | Archiv

14 November

Donnerstag, 14. November 2019

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Im Parkway Motel hatte jemand mit einem faulen Scheck bezahlt. Deshalb war Sergeant Croswell von der Staatspolizei New York dort, als Joe Barbaras Sohn hereinkam und eine ganze Flucht Hotelzimmer bestellte. Sie erwarteten eine Gruppe von Getränkevertretern, sagte er.

Der Vater, Joe Barbara, besaß eine Limonadenfabrik. Sergeant Croswell wusste aber auch, dass er dubiose Nebengeschäfte betrieb und mit der Mafia zu tun hatte. Als Croswell später chromblitzende Straßenkreuzer anrollen sah, war er sicher: Handelsvertreter waren das nicht!

Hier stimmt was nicht!

Er hatte recht. Bei Joe Barbara versammelten sich am 14. November 1957 die Bosse der amerikanischen Mafia zu einer Konferenz. Der Ort war ideal: Das Haus lag einsam auf einem Hügel bei Apalachin, einem Dorf im Bundesstaat New York; die Straße endete hier. Es gab einen Gartensaal, groß genug für die rund hundert Männer, und einen Grill aus Feldsteinen. Man begann mit dem geselligen Teil, einem Barbecue.

Die letzten Steaks brutzelten noch auf dem Rost, als Croswell sich die Sache anschauen wollte. Vor dem Haus parkte eine Flotte von Cadillacs und Lincolns. Für alle Fälle hatte er sich fünfzehn Mann Verstärkung besorgt, aber solange ihm die obskuren Besucher keinen Grund gaben, konnte er nur die Kennzeichen notieren und wieder abziehen.

Gipfel im Chaos

Und dann war plötzlich der Teufel los. Polizei vor dem Haus? Die abgebrühten Mafiosi verloren den Kopf. Sie stürzten aus Türen und Fenstern. Einige spurteten zum nahen Gehölz, wo sie über ihre spitzen Schuhe stolperten und mit ihren seidenen Maßanzügen in den Ästen hängen blieben. Einer verhedderte sich mit seinem Kamelhaarmantel so in einem Weidezaun, dass ihn später die Polizei befreien musste.

Die meisten hasteten zu ihren Autos. Am Fuß des Hügels hielt Polizei die Limousinen an - gleich in der ersten saß Vito Genovese, der berüchtigtste Gangster von New York City. Croswell ließ sie alle zur Polizeistation bitten, wo sich bald achtundfünfzig Männer drängten. Sie waren ausgesucht höflich, nannten ihre Namen und erklärten, sie hätten in der Gegend zu tun gehabt und bei ihrem Freund Joe vorbeigeschaut – ganz zufällig alle gleichzeitig.

Die Überprüfung ließ keinen Zweifel: dies war die hochkarätigste Kollektion von Unterweltgrößen, die je ein Polizeirevier gesehen hatte. Aber für keinen gab es einen Haftbefehl. Croswell musste alle gehen lassen.

Das Mafia-Gipfeltreffen in Apalachin machte Schlagzeilen und brachte die Polizeiermittlungen auf Hochtouren. Die größte Sensation war, dass die Teilnehmer aus dem ganzen Land gekommen waren. Seit Jahren war von einem nationalen Verbrechersyndikat die Rede.

Tatsächlich war es schon 1931 gegründet worden, um Kriege zwischen den Mafia-Clans zu vermeiden. Revieraufteilung und Geschäftsanteile wurden auf Konferenzen ausgehandelt, Konflikte regelte die "Kommission". Bislang hatte dieses Kartell im Verborgenen existiert. J. Edgar Hoover, Chef der Bundespolizei FBI, war ganz auf die Kommunistenjagd fixiert und stritt seine Existenz vehement ab. Nun musste er sich mit dem Syndikat befassen. Croswell hatte, durch Zufall und Instinkt, das erste handfeste Indiz gefunden.


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