Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. August 1901 Louis Armstrong wird tatsächlich geboren

Louis Armstrong wurde wie kein anderer zum Synonym für Jazz. Wie passend, dass er am US-amerikanischen Unabhängigkeitstag eines neuen Jahrhunderts Geburtstag hatte. Zu schön, um wahr zu sein. Autor: Xaver Frühbeis

Stand: 04.08.2020 | Archiv

04 August

Dienstag, 04. August 2020

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Es war im verrufenen Rotlichtbezirk von New Orleans, da half der kleine Junge beim Kohle verkaufen. In den Türen standen die Mädchen in ihren Negligés und riefen: "Hey du, Junge, bring mal schnell drei Eimer rüber." Dann hat der Junge drei Eimer voll mit Kohle geschaufelt und sie ihnen auf ihre Zimmer getragen. Und danach blieb er immer noch ein bisschen. Aus der Kneipe nebenan kam Musik durch die Wand. Joe "King" Oliver, die heißeste Band der Stadt. Der Junge stand da, sperrte Mund und Ohren auf und horchte zu, bis die Mädchen ihn rauswarfen. "Zieh jetzt mal Leine, Kleiner", sagten sie. "Der nächste Kunde kommt. Das ist nichts für Kinder wie dich."

Der Mann, der Jazz war

Als das geschah, war der Junge zehn. Als er dreißig war, hatte er King Oliver längst den Rang abgelaufen, und mit vierzig stand sein Name weltweit für "seine" Musik. Louis Armstrong und Jazz, das war ein- und dasselbe.

Vom Gossenjungen zur "High Society", das ist der gelebte amerikanische Traum. Wer das geschafft hat, muss sich natürlich feiern lassen. Bei Armstrong war das besonders erhebend, weil alle wussten, dass er am 4. Juli des Jahres 1900 zur Welt gekommen war. Der 4. Juli, das ist der amerikanische Unabhängigkeitstag. Da ist die ganze Nation eh gebührend in Jubelstimmung.

Zu schön, um wahr zu sein

Ein paar Musikhistorikern kam die Sache jedoch suspekt vor. Am ersten Unabhängigkeitstag eines neuen Jahrhunderts geboren zu sein: das war zu schön, um wahr zu sein. Dabei gab es natürlich Dokumente. Armstrongs Sozialversicherungskarte, der alte Einberufungsbescheid von 1918: da stand dieses Datum drin. Ihre Suche jedoch brachte rein gar nichts Neues zum Vorschein. Also musste es wohl doch stimmen.

Ende der 80er Jahre schließlich hat sich herausgestellt, dass es nicht stimmte. Der Jazzhistoriker Tad Jones hatte ein - von allen übersehenes - Interview gefunden, in dem Armstrong verriet, in welcher Kirche in New Orleans er seinerzeit getauft worden war. Die Taufbücher existierten noch. Und da fand Jones diese Eintragung: "Armstrong, niger, illegitimus - schwarz, unehelich". Der Pfarrer schrieb Latein. "Am 25. August Anno Domini 1901 taufte ich Ludovicum, geboren am 4. August 1901". - Das also war Louis Armstrongs tatsächliches Geburtsdatum. Nicht am Unabhängigkeitstag. Und auch nicht 1900.

"Mein Telefon stand nicht mehr still", sagte Jones, "es war, als hätte ich den Heiligen Gral entdeckt. Dabei war es die einfachste Sache von der Welt gewesen."

Wobei man sich jetzt natürlich fragt, wie das falsche Datum auf die offiziellen Papiere gekommen ist. Man hatte wohl Armstrong einfach danach gefragt. Hat er selber an seinen "Unabhängigkeits-Geburtstag" geglaubt? Vielleicht weil seine Mutter es ihm so erzählt hatte? Oder hatte er sich bei der Musterung absichtlich um ein Jahr älter gemacht? Hatte er damals - als Sechzehnjähriger schon - Soldat werden wollen? Man weiß, dass viele junge schwarze Amerikaner damals in den Krieg ziehen wollten. Als Soldaten, hofften sie, wären sie den Weißen endlich gleichgestellt. Und das Vaterland würde sehen, was sie leisten konnten. Seinen Einberufungsbefehl jedenfalls hatte Armstrong in der Tasche, als er wieder nach Hause ging. Soldat geworden ist er - 1918 - trotzdem nicht mehr. Und die Welt hat seinen Geburtstag über all die Jahre am ganz falschen Tag gefeiert. Jetzt aber, wo sie's besser weiß, kann sie gleich zweimal feiern. Am 4. Juli: die Unabhängigkeit, und am 4. August, heute: - Louis Armstrongs wahren Geburtstag.


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