Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. April 1899 "La Jamais Contente" knackt als erstes Landfahrzeug die Geschwindigkeitsmarke von 100 km/h

Über Stärken und Schwächen des Elektroautos wird nicht erst seit Kurzem diskutiert. Schon 1899 wurde die Effizienz des Antriebs auf die Probe gestellt. Ergebnis: der Geschwindigkeitsrekord des Jahrhunderts. Autorin: Christiane Neukirch

Stand: 29.04.2021 | Archiv

29 April

Donnerstag, 29. April 2021

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Das ging ab wie ein Zäpfchen! So könnte die Überschrift über dem Ereignis lauten, das am 29. April 1899 für Schlagzeilen sorgte. Das Bild des Tages zeigt einen Mann mit Bart und Schirmmütze auf einem sonderbaren Gefährt. Was aussieht wie ein riesiges Fieberzäpfchen auf Rädern, war ein Automobil mit dem Namen "La Jamais Contente", auf Deutsch: "die nie Zufriedene".

Der "rote Teufel"

Diese Eigenschaft traf wohl eher auf den Namensgeber selber zu, den Konstrukteur und Fahrer dieses Vehikels. Camille Jenatzy liebte den Geschwindigkeitsrausch. Und wer weiß, wie eine Droge wirkt, weiß auch: man braucht immer mehr davon. Wer also das Tempo liebt, wird am besten Rennfahrer. So auch Jenatzy. Seines forschen Fahrstils und seines roten Bartes wegen war er bald als der "rote Teufel" bekannt. Doch mit den Benzinkutschen, die er fuhr, kam er über eine gewisse Grenze nie hinaus. Was also tun? Selbst ist der Mann, sagte sich Jenatzy, und machte sich daran, seine eigene Rennkiste zu entwickeln, mit Elektroantrieb und, vor allem, einer aerodynamisch geformten Karosserie. Die nämlich hat das Rennauto mit dem medizinische Zäpfchen gemein: beide wurden entwickelt, um mit möglichst wenig Reibungswiderstand durch ihre Umgebung zu gleiten und so schnell ans Ziel zu gelangen. Jenatzys Motorzäpfchen hatte dabei allerdings zwei Schwachstellen: das hochbeinige Fahrgestell sowie den Fahrer selbst, der aufrecht auf dem Gefährt saß und steuerte. Das erhöhte den Luftwiderstand enorm, und es erstaunt, dass der "Rote Teufel" nicht vom Fahrtwind aus dem Sitz gefegt wurde.

Der tote Keiler

Denn trotz dieser Schwächen stellte sein Modell an jenem Apriltag den ersehnten Rekord auf: "La Jamais Contente" knackte erstmals die 100km/h-Marke und raste mit 105 Sachen durch die Landschaft im Nordwesten von Paris, schneller als je ein Landfahrzeug zuvor.

Am 2. Mai folgte dann die Siegerehrung. Auch davon gibt es ein Foto; darauf das Zäpfchen in Blumengirlanden gewickelt, eine Traube wichtig aussehender Männer darum herum, und obenauf der stolze Fahrer. Aber nicht alleine: hinter ihm thront die Ehefrau, kerzengerade und mit ernster Miene. Schwer zu sagen, ob ihr melancholisch anmutender Blick der Etikette geschuldet war oder ihren Gedanken über das Hobby ihres Mannes. Es ist sicher nicht leicht, die Frau eines Besessenen zu sein. Wie sie im Einzelnen zu den halsbrecherischen Abenteuern ihres Ehegatten stand, ist nicht überliefert. Im Rückblick können wir sagen: wegen seines Dranges zu überhöhter Geschwindigkeit hätte sie keine Bedenken zu haben brauchen; ihr Mann kam stets heil von den Rennen zurück. Viel mehr Anlass zur Sorge bot sein Hang zu seltsamen Scherzen.

Im Dezember 1913 lud Camille Jenatzy Freunde auf eine Jagdparty ein. Sein reifes Alter von 45 Jahren hielt ihn nicht von kindischen Gedanken ab: In einer Nacht kam er auf die Idee, seine schlafenden Jagdgenossen zu erschrecken, versteckte sich in einem Busch hinter der Hütte und grunzte wie ein wildgewordener Keiler. Seine Darbietung überzeugte. Einer der Gäste öffnete das Fenster, zielte, schoss und traf. So fand der "Rote Teufel" sein rasantes Ende.


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