Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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12. April 1969 Kein Tequila, keine Show - Janis Joplin lässt einziges Deutschlandkonzert (fast) platzen

"Sex, Drugs and Rock’n’Roll", das war ihr Lebensstil: Janis Joplin, eine Symbolfigur der Hippiekultur. Von allen Künstelrinnen und Künstlern der 1960-Jahre personifizierte keine so sehr niemand den ebenso schillernden wie selbstzerstörerischen Geist dieser Zeit so radikal wie sie. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 12.04.2022 12:00 Uhr | Archiv

12 April

Dienstag, 12. April 2022

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Sex, Drogen, Rausch, Verzweiflung. Immer auf Anschlag, alles XXL oder gar nicht. Janis Joplin verfüttert ihr Herz an den Blues. Sie singt nicht, sie blutet ins Mikro. Sie ist der Abgrund, der auf dem Seil tanzt, ist ihre eigene Abrissbirne, ihr eigenes Selbstzerstörungskommando.
Drei kurze Jahre dauert ihr Kometenflug, vom Monterey Festival über Woodstock bis auf den kalten Boden im Zimmer 105 des Landmark Motels in Florida.

Unstillbarer Hunger

Es beginnt mit einem Katapultstart aus dem Nichts, Janis legt los wie von einem Raketenwerfer in den Rockolymp geschossen. Geld, Ruhm, ein Haus, ein Porschecabrio, Dope und Southern Comfort in Strömen. Aber nichts sättigt den Hunger, der Tag und Nacht in ihr wühlt, nichts füllt das gefräßige Loch tief drinnen. Sie stopft es mit Vorsätzen, mit Speed, mit Alkohol, Heroin, mit Zigaretten, Männern, Frauen. Aber der Pegel stimmt nie.
Nur der Blues, nur die blutige Häutung im Rampenlicht, hält die Dämonen einen Song lang in Schach. Singen ist das Beste, was mir je passiert ist, sagt sie. Wenn ich nicht singen könnte, hätte ich mich längst umgebracht. Cry Baby, cry little girl blue!

Im Frühjahr 1969 geht Janis Joplin erstmals auf Europatournee. Sie ist ein Star, groß wie Jimi Hendrix und Jim Morrison. So schwarz hat noch keine Weiße ihre Seele filetiert. Tausende wollen diesen Kraft-, Schmerz und Freiheitsausbruch live erleben. Doch mehr als eine Vorstellung gibt der Zeitplan nicht her. Den einzigen Zuschlag sichert sich der geniale Musikveranstalter Fritz Rau. Er holt die Joplin und ihre Kozmic Blues Band nach Frankfurt.

No tequila, no concert

Das Konzert am 12. April 1969 ist legendär, es ist ein Auftritt für die Ewigkeit, der beinahe gar nicht stattgefunden hätte. Janis kommt schon mies gelaunt in Frankfurt an. Dann muss sie Backstage anhören, wie irgendeine No-Name-Bitch die Jahrhunderthalle zum Wackeln bringt. Eine junge Deutsche, die sich Joy Fleming nennt, ist drauf und dran, ihr die Show zu stehlen. Das dreht die Zeichen endgültig auf Sturm. Beizeiten kann die Hippie-Queen eine echte Megazicke sein, und genau jetzt ist es soweit. "Who’s that fucking bluesy girl?" pöbelt sie hinter der Bühne. "Ich bin der Star, nicht diese Tussi, kapiert!

Außerdem hat sie Durst. Furchtbaren Durst. Janis braucht einen Tequila. Sofort. Sonst tritt sie nicht auf. Aber Tequlia? Jetzt? Fritz Rau flötet, fleht, bettelt. Alles kann sie haben, aber einen Tequlia? Unmöglich! So schnell kriegt er das Zeug nicht her. Janis bleibt stur.
"No tequila, no concert". Ah, so ist das. Die Lady will es wissen. Kann sie haben. "Gut", sagt Rau, "gut. Fahr schon ins Hotel, ich muss erst noch den Leuten dein Eintrittsgeld rückerstatten. Du weißt ja, no concert, no cash!"

Miss Joplin bläht die Backen, kaut ihre Lippen weich, grinst, gackert los.
"Ok. Du hast gewonnen, Fritz!" Was sie dann draußen hinlegt, ganz ohne Tequila, reicht für zehn Unsterblichkeiten. Janis gibt alles, holt mehr und mehr Fans auf die Bühne, die sich außer Rand und Band den Muff von tausend Jahren von der Seele tanzen. Yeah! Feelin' good was easy, Lord, when Janis sang the blues!


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