Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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30. März 1873 Kaisertum Österreich und Königreich Bayern bauen gemeinsame Eisenbahn

Eine Eisenbahnlinie, die Österreich und Bayern vernetzt mit einem Bahnhof direkt auf der Grenze - pragmatisch und völkerverbindend. Problematisch allerdings wurde das, als der Kalte Krieg just diese Grenze bei Bayrisch Eisenstein dichtmachte. Der Bahnhof wurde geteilt und Sackgasse auf beiden Seiten. Autorin: Julia Devlin

Stand: 30.03.2022 | Archiv

30 März

Mittwoch, 30. März 2022

Autor(in): Julia Devlin

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Nach dem Zweiten Weltkrieg senkte sich ein eiserner Vorhang über Europa. Ein gnadenloses Band aus Beton, Stacheldraht, Stahlplatten und Sperrzonen, das entlang neuer und alter Grenzen verlief und ein Hinüberwechseln auf die andere Seite unmöglich machte. Besonders augenfällig wurde die Unbarmherzigkeit dieser Trennlinie dort, wo sie quer durch Bauwerke oder Verkehrswege verlief, die eigentlich von ihrer Bestimmung her verbindend sein sollten - so wie Brücken oder Straßen oder, in unserem Fall, durch einen Bahnhof.

Grenzbahnhof

Die Rede ist von dem Bahnhof Bayerisch-Eisenstein an der Grenze zwischen Deutschland und dem heutigen Tschechien. Dabei hatte alles so gut angefangen. Seine Majestät der Kaiser von Österreich und seine Majestät der König von Bayern, Franz Joseph I. und Ludwig II., unterzeichneten am 30. März 1873 einen Vertrag, in dem sie den Bau einer grenzüberschreitenden Eisenbahnlinie vereinbarten. Der Bayerische Wald sollte per Schiene mit dem böhmischen Pilsen verbunden werden. Als sinnfällige Krönung des ganzen Unternehmens wurde ein Bahnhof geplant, der genau auf der Grenze zwischen den beiden Ländern stehen sollte, mit der einen Hälfte in nordöstlicher Richtung in österreichisches Gebiet ragend, mit der anderen Hälfte in südwestlicher Richtung in bayerisches.

Mit der Bahn zwischen Böhmen und Bayern

So wurden die kleinen Grenzorte Bayerisch-Eisenstein und Železná Ruda mit einem formidablen Bahnhofsgebäude beschenkt. Im Grunde bestand es aus zwei Bahnhöfen, einem böhmischen und einem bayerischen, die durch eine niedrige Empfangshalle verbunden waren.

Durch diese Empfangshalle verlief die Grenze. Ansonsten gab es alles zwei Mal: Zwei Wartesäle, zwei Bahnhofsrestaurants, zwei Bahnhofsvorsteher, zwei Fahrkartenschalter.

Mit seinen 140 Metern Länge nahm sich der Bahnhof in der Umgebung des Bayerischen bzw. des Böhmerwaldes etwas überdimensioniert aus. Aber man hatte ja weiter, größer geplant, wollte das Teilstück Plattling - Pilsen in ein größeres Netz, nämlich München - Prag gestellt sehen. Deshalb hatte man zwar die Strecke zunächst aus Kostengründen eingleisig verlegt, hatte aber ein zweites Gleis mitgedacht und die Brücken gleich breit genug gebaut, um später nachrüsten zu können. Daraus wurde aber nichts, der wilden Berge wegen: Zu viele Steigungen, zu enge Kurven.

Dann senkte sich der Eiserne Vorhang auch über Bayerisch-Eisenstein. Über die Gleise wurde eine Mauer aus Stahlplatten gebaut, die sich über den Bahnsteig und sogar durch das Bahnhofsgebäude fortsetzten. Die wenigen Züge, die noch von Plattling nach Bayerisch Eisenstein fuhren, endeten am Prellbock vor dem Grenzzaun. Mit dieser absurden Realität lebte man bis 1991. Dann wuchs auch in Bayerisch-Eisenstein zusammen, was zusammengehört. Im Herzen Europas kann man seitdem wieder grenzüberschreitend mit der Eisenbahn fahren. So wie es in den 1870ern zwei Monarchen geplant hatten.


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