Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. Juli 1900 Kaiser Wilhelm II. hält seine "Hunnenrede"

Es gibt Reden von fulminanter Wirkung, die nicht zu den rhetorischen Glanzleistungen zählen. Die so genannte „Hunnenrede“, die der deutsche Kaiser Wilhelm II. am 27. Juli 1900 gehalten hatte, gehört dazu. Autorin: Isabella Arcucci

Stand: 27.07.2018 | Archiv

27 Juli

Freitag, 27. Juli 2018

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Thomas Morawetz

Bremerhaven, 27. Juli 1900. Das deutsche Ostasiatische Expeditionskorps steht vollzählig stramm, bereit, den Abschiedsworten des Kaisers zu lauschen. Wilhelm II. hat das Holzgerüst vor den drei kolossalen Dampfschiffen erklommen. Dem Reichskanzler schwant Schreckliches. Die Sonne brennt. Der kaiserliche Schnurrbart sitzt. Der Staatssekretär des Auswärtigen schwitzt.

Räusper, räusper…

Welche gewaltigen Worte werden wohl diesmal aus dem kaiserlichen Munde perlen?

Ganz können wir Nachgeborenen es nie erfahren, denn es ist kein Originalmanuskript dieser Rede überliefert, die Seine Majestät nun voller Leidenschaft zu einem Gutteil improvisiert. Es gilt, sich für die Ungezogenheiten der Chinesen zu rächen. Deren Gastfreundschaft wurde von den Großmächten der Welt durch fiese Verträge und penetrante Missionare ziemlich strapaziert. Nun hat man den deutschen Gesandten in Peking ermordet, und China kämpft im Boxeraufstand gegen die ausländischen Imperialisten. Der kaiserliche Schnurrbart bebt beim Gedanken an so viel Impertinenz. Oder ist es eher die Vorfreude auf den großen Triumph, die Wilhelm so aufwühlt? Eine erfolgreiche Intervention in China könnte den deutschen Einfluss im Reich der Mitte beträchtlich vergrößern, und die übrigen Großmächte würden sich vor Wut in den Hintern beißen.

Gegen China!!

Das kaiserliche Herz jauchzt beim Anblick der 2000 Schutztruppenhüte,

die in Reih und Glied vor ihm angetreten sind. Und nun donnern mit gewaltiger Wucht Wilhelms Worte über die Versammelten. "Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen", wütet Wilhelm.

Der Reichskanzler wird blass.

Solch ein gnadenloser Rachefeldzug, wie Seine Majestät ihn ausruft, verstößt gegen die Haager Landkriegsordnung von 1899, gerade mal ein Jahr alt, doch das bringt den Kaiser nicht aus dem Konzept. Und Haltung, Haltung! Der schönste Teil kommt noch. Die Heldenbrust gewölbt, das kaiserliche Auge blitzt.

Dann! – Dann schmettert Seine Majestät aus voller Brust jenen herrlichen Satz, den der Sekretär des Auswärtigen sofort aus der offiziellen Presseversion der Rede streichen wird. Jene fulminanten, jeden diplomatischen Komment niederwalzenden Worte, die da lauten: „Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen.“

Der Kaiser hat gesprochen. Die 2000 Schutztruppenhüte machen sich auf die Reise. Sie werden sich an Wilhelms Worte halten und nach Hunnenart alles niedermachen, was sich ihnen bietet. Egal ob Kinder, Frauen, oder Generäle. Die Rede des Kaisers aber wird, trotz aller Zensurmaßnahmen, bis in die ausländische Presse durchsickern und den Deutschen wirklich für die nächsten 1000 Jahre international einen Namen machen. Wenn auch weniger in China, als mehr bei den europäischen Nachbarn. Denn wenn sich jedes Jahr im Juli Horden von Bundesbürgern aufmachen, die Küsten des Mittelmeers zu besetzen, um mit Handtüchern bewaffnet im Morgengrauen sich ihren Platz an der Sonne zu erobern, wenn sie den Strand von Arenal erstürmen, wo jeden Tag Kaiserwetter herrscht, um unter Kriegsgeheul, im Rausch von Sieg und Sangria, in aller Öffentlichkeit Helden zu zeugen, dann schallt es noch heute durch Europa: Die Hunnen kommen!


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