Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. Dezember 1848 Sissis Franzl wird Kaiser von Österreich

Schon zu Lebzeiten wurde Kaiser Franz Joseph I. mit einer nostalgischen Aura umgeben. Der Mann, der heldenhaft stoisch sein schweres Schicksal ertrug, als fescher Franzl seine Sissi innig liebte und verstand, als ein gütiger älterer Herr gesehen wurde und als archetypischer Landesvater, dessen Ende auch das der Monarchie einläutete. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 02.12.2022 | Archiv

02 Dezember

Freitag, 02. Dezember 2022

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Es reicht. Es ist genug! Europas Völker sind ihrer Herren überdrüssig. Sie wollen keine Knechte mehr sein, rechtlos, bespitzelt, unterdrückt und ausgepresst. Jahrzehnte schon fordern sie Freiheit, Menschenrechte, Parlamente und Verfassungen. Nichts davon haben sie bekommen. Sie sind nach wie vor Untertanen, noch immer geduckt, entmündigt und getreten. Es ist genug, es reicht.

Habsburg wankt

Im Februar 1848 jagt Frankreich erneut einen König davon, im März lodern Ungarn, Tschechien, Norditalien und die Staaten des deutschen Bundes: vive la république! Auch in Wien explodiert die Wut. Die Wut über einen autoritären Polizei- und Spitzelstaat, die Wut über gebrochene Versprechen, die Wut über Hunger, Elend, Willkür, über "Tyrannei und Pfaffentrug".

Vereint mit Bauern, Bürgern und Studenten stürmen Arbeiter die Straßen, Ämter und Fabriken brennen, Schüsse fallen, Blut fließt, Menschen sterben. Diesmal ist es ernst. Diesmal wankt das Haus Habsburg, diesmal schwankt der Thron. Kaiser Ferdinand I. flieht erst nach Innsbruck, dann ins tschechische Olmütz. Zwar schlägt seine Armee daheim den Aufstand nieder, doch der morsche, ausgebrannte Mann ist nicht mehr zu halten. Von allen Seiten gedrängt, dankt er am 2. Dezember 1848 zugunsten seines blutjungen Neffen ab.

Erzherzog Franz wird an diesem Tag Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, Herr über die Lombardei, Venetien, die Toskana, über Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien. Der knapp Achtzehnjährige besteigt den Thron noch im tschechischen Exil, verjagt von marodierenden Horden, die gottgefügte Prinzipien und die Majestät des Kaisers anzutasten wagten.

Die Schmach sitzt tief, sie lässt ihn zeitlebens nicht los. 68 Jahre lang sucht Franz Joseph das Heil der Krone und ihrer Länder im Blick zurück; 68 lange Jahre stemmt er sich verbissen, während die Kaiserin reist und reitet und ihrem Körper das Altern verbietet, gegen den inneren und äußeren Zerfall des Habsburgerreichs.

Der Alte von Schönbrunn

Große Siege sind ihm dabei nicht vergönnt, die Verluste überwiegen. Der Bruder wird hingerichtet, der Sohn begeht Selbstmord, Attentäter töten die Kaiserin und den Thronfolger. Er verliert Venezien, die Lombardei, die Toskana, seine Völker streben nach Freiheit, die Deutschen gründen ihren Staat ohne Österreich, Gott kommt aus der Mode, Parlamente werden normal, Monarchen suspekt.

Alles gärt, gewaltige Kräfte pflügen die alte Ordnung um. Nur der Kaiser sitzt am Schreibtisch seines Arbeitszimmers unbewegt beim Aktenstudium, kratzt stoisch Vermerke mit Tinte und Feder auf Kanzleipapier, nimmt Paraden ab und geistert zunehmend alterseinsam seiner Entrückung ins Legendenhafte entgegen.

Franz Josephs Herrschaft endet, wie sie begann. Der "Alte von Schönbrunn" stirbt 1916 mitten in einem Krieg, der selbst noch die Asche dessen verbrennt, was er so sehr bewahren wollte. Vorbei, vergangen, wie er. Vieles war dieser Mann: ein Aktenfresser und Besserwisser, ein Autokrat, ein Pflichteiferer, ein Unbelehrbarer; nur volksnah war er niemals und Sissis herziger Zuckergussfranzl schon gar nicht.


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