Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. September 1804 Josef Pichler führt Erstbesteigung des Ortlers durch

Manch Monarch will steil hinauf. Bloß unter den Untertanen findet sich keiner, der es soweit bringt. Erzherzog Johann jedenfalls muss ein wengerl warten in Sachen Ortler auf den Pseirer Josele. Autorin: Regina Fanderl

Stand: 27.09.2018 | Archiv

27 September

Donnerstag, 27. September 2018

Autor(in): Regina Fanderl

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

"Wo König Ortler seine Stirn hoch in die Lüfte reckt...", heißt es in der zweiten Strophe jenes Liedes, das so harmlos als Bozner Bergsteigermarsch daherkommt, in Wahrheit aber die heimliche Hymne der Südtiroler ist – entstanden während der strengen Italienisierung Mitte der 30er Jahre.

Lange ragt der König der Ostalpen seine Stirn noch völlig unbezwungen in die Lüfte. Zu groß ist wohl der Respekt vor dem 3.905 Meter hohen, eisbedeckten Bergriesen.

Aufi muaß Oana…

Doch dann ist auch für "Seine Majestät" die Zeit gekommen. Im Sommer 1804 ordnet Erzherzog Johann von Österreich die Erstbesteigung des Ortlers an und überlässt dem Topographen Johannes Gebhard deren Organisation. Zwei erfahrene Bergführer aus dem Zillertal werden als Erstbesteiger ausgewählt und zusätzlich bietet Gebhard Bauern aus der Umgebung Geld dafür an, einen Weg hinauf zu finden. Alle miteinander scheitern sie an den anspruchsvollsten Stellen. Fünf Mal hintereinander. Der Mann für den sechsten Anlauf, ein reisender Harfenist mit angeblicher Bergerfahrung, erweist sich als Scharlatan. Dann aber stellt sich ein kleines, zaches Mandl vor: Josef Pichler aus dem Passeier, genannt der "Pseirer Josele". Seines Zeichens Gamsjäger auf der Churburg in Schluderns, Wilderer und Bergfex. Er sagt, er findet hinauf, will das Geld nur im Falle eines Erfolgs und setzt sein Vorhaben zusammen mit den beiden Zillertalern auf der Stelle in die Tat um. Sie klettern von Trafoi aus über die eisfreie Nordwestflanke der "Hinteren Wandln". Als Gamsjäger fühlt sich Pichler im steinernen Gelände wohl sicherer. Eine schwierige und sehr gefährliche Route. Sie wird später nur noch selten genommen, zumal Pichler keinen schriftlichen Bericht liefern kann. Er ist, wie seine Seilgefährten, Analphabet.

Erstmal soll das einer nachkraxeln…

Am Vormittag des 27. September 1804, zwischen 10 und 11 Uhr erreichen die Männer den Gipfel, sturmumtost. Es ist derart kalt, dass sie schon nach ein paar Minuten wieder absteigen. Um 8 Uhr Abends kommen sie wieder in Trafoi an.

Stolz wird Erzherzog Johann die Vollendung des "großen Werks" vermeldet. Wie so oft gibt es Zweifler, die den Gipfelsieg vom "Pseirer Josele" in Frage stellen. Kurzerhand werden im Jahr darauf neue Expeditionen hinauf geschickt, um eine Fahne zu hissen und ein weithin sichtbares Feuer zu entzünden.

Pichlers Erstbesteigung des Ortlers zählt zu den bedeutendsten alpinistischen Ereignissen des frühen 19. Jahrhunderts. Heute führen mehrere Routen zum Gipfel – allesamt anspruchsvolle Hochtouren. Vor allem die Nordwand gilt unter Eiskletterern als beliebtes Ziel. Im Mittelteil der Eiswand gibt es auch eine Direktlinie. Erstmals durchstiegen selbstverständlich von Reinhold Messner.

Bis zur Abtrennung Südtirols von Österreich, 1919, war der Ortler der höchste Gipfel der Donau-Monarchie. Über 100 Meter höher als der Großglockner. Heute bekrönt "König Ortler" Südtirol. Mit seiner schneeweißen Kuppe dient er als dekorativer Hintergrund für den halb versunkenen Kirchturm im Reschensee und wirbt gelassen für Speck und Käse aus dem oberen Vinschgau. Fast auf der ganzen Welt!


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