Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. Mai 1926 Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden

Cholera, Haut- und Geschlechtskrankheiten - die Sozialhygiene steckte Anfang des 20. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen. Da wurde am 6. Mai 1911 die Internationale Hygieneausstellung in Dresden eröffnet, und Millionen Besucher kamen, um zu staunen und sich zu gruseln.

Stand: 06.05.2011 | Archiv

06 Mai

Freitag, 06. Mai 2011, 09:50 Uhr

Autorin: Julia Mahnke-Devlin

Sprecherin: Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Wie sehr es im Leben darauf ankommt, die richtigen Freunde zu haben, zeigt einmal mehr der Fall des Karl August Lingner. Der scheiterte als Schüler, scheiterte als Musikstudent, scheiterte als Handelsvertreter, und als Produzent von Rückenkratzern war er auch nicht sonderlich erfolgreich. Doch da bot ihm ein befreundeter Chemiker die Rezeptur eines antiseptischen Mundwassers an. Das war die Geburtsstunde von "Odol", das 1892 von Dresden aus seinen Siegeszug durch die Badezimmer antrat. Jetzt wurde Lingner in kurzer Zeit zu einem reichen, ja einem sehr reichen Mann. So reich, dass ihm nach dem Erwerb der üblichen Statussymbole - Mercedes, Motorjacht, Schloss daheim und in der Schweiz, Telefonanschluss, Mausoleum - noch so viel Geld blieb, dass er sich philanthropisch betätigen konnte.

Sein Feld war - wie sollte es anders sein - die Sozialhygiene. Denn da gab es tatsächlich viel zu tun. Vor allem in den unkontrolliert wuchernden Städten grassierten Cholera, Tuberkulose, Haut- und Geschlechtskrankheiten. Dass dem mit einer Mundspülung nicht beizukommen war, wusste auch der Odol-Fabrikant. So setzte er sich mit Energie und Geld an die Volksaufklärung. Die Krönung seines Einsatzes war die große internationale Hygieneausstellung, die am 6. Mai 1911 in Dresden ihre Pforten öffnete.

Was gab es dort nicht alles zu sehen: Ein Indianerlager. Ein abessinisches Dorf mit echten Kriegern. Bakterien, die sich unter dem Mikroskop wanden. Gruselige Wachsmodelle deformierter Embryonen. Einen gläsernen Menschen. Und viel nacktes Fleisch - attraktiv, wenn gesund, abstoßend, wenn krankheitsbefallen. Die Ausstellungsmacher hatten ein geniales museumspädagogisches Konzept gefunden - ein Gesamtkunstwerk, in dem von der Verkehrsanbindung bis zur Architektur, von den Ausstellungsinhalten über die Plakatkunst bis zum Restaurant alles stimmte. Der Erfolg gab den Machern recht: Fünfeinhalb Millionen Besucher strömten durch das riesige Ausstellungsgelände, bis im Oktober die Pforten wieder geschlossen wurden.

Über dem ganzen Unternehmen wachte ein Auge. Ein riesiges Auge, das Symbol der Ausstellung. Aber nein, das war nicht das Auge Gottes, obwohl der ikonographische Bezug auch darauf klar anspielte. Nein, es war das Auge, das durchschaut. Denn mit der Wissenschaft von der Hygiene begann auch eine neue Sichtweise, eine neue Art der Visualisierung von krankmachenden Dingen. Zehn Jahre vor der Erfindung von Odol hatte Robert Koch den Tuberkelbazillus dingfest gemacht, und zwar mit Hilfe der optischen Industrie. Da lagen nun also die Bazillen - auf einem Glasträger, methylenblauen Maden gleich, und ohne das Mikroskop von Carl Zeiss hätte die Menschheit weiterhin daran geglaubt, dass sich die Schwindsucht über schlechte Gerüche verbreitete.

Das war auch Lingners Idee: Man kann eine Ausstellung über Infektionskrankheiten machen, eben weil man etwas sieht, weil man die Erreger darstellen kann. Und neben den Erregern kann man Tafeln zeigen und Wachsmodelle, die dem Betrachter die Folgen eines Befalles - Ausschläge, Geschwüre, abfaulende Gliedmaßen - drastisch vor Augen führten. Und noch mal daneben stehen gleich die guten Ratschläge, mit welchen Maßnahmen man solchen Folgen entgehen kann.

Lingner selber wurde nicht alt, gerade mal 54 Jahre. Da hatte er sich so unermüdlich eingesetzt für gesunde Lebensführung. Doch dann starb er 1916 an den Folgen eines Genussmittels, dessen Gefährlichkeit man über all die mikrobiotischen Sensationsfunde vollkommen übersehen hatte: An Tabak. Gegen Zungenkrebs hilft eben auch das beste Mundwasser nicht.


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