Bayern 2 - Das Kalenderblatt


0

4. Mai 1904 Henry Royce und Charles Rolls schütteln sich die Hand

Ein Luxusgefährt, das die Reichen und Berühmten lieben und kaufen – für Henry Royce und Charles Rolls wird diese Geschäftsidee zum großen Erfolg. Der hält an, denn bis heute rollen Rolls-Royce. Autor: Thomas Grasberger

Stand: 04.05.2020 | Archiv

04 Mai

Montag, 04. Mai 2020

Autor(in): Thomas Grasberger

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Der russische Revolutionsführer Lenin war ein Freund des öffentlichen Personenfernverkehrs. Zu Recht. Schließlich war es der Eisenbahn zu verdanken, dass er seinem weltgeschichtlichen Auftrag rechtzeitig nachkommen konnte. Ausgerechnet das deutsche Kaiserreich hatte ihm und seinen 31 Mitstreitern im April 1917 quasi ein Interrail-Ticket spendiert. Das hieß damals natürlich nicht so, aber die Zugfahrt war grenzüberschreitend und obendrein gratis – von Zürich durch ganz Deutschland über Skandinavien ins heutige Sankt Petersburg.

Volldampf voraus

Nachdem Lenin dort seine revolutionären Geschäfte erfolgreich erledigt hatte, stieg er um, von der Bahn aufs Auto. Schließlich standen in den Garagen des abgesetzten Zaren noch jede Menge schmucke Fahrzeuge. Nikolaus II. war nämlich ein Autonarr gewesen, mit einem Faible für französische Luxuswagen der Marke Delaunay-Belleville. Die hatten schon 1910 den Anlasser direkt hinterm Lenkrad. Man musste also nicht mehr aussteigen und selber kurbeln. Das gefiel dem Zaren. Und Lenin auch.

Aber die französischen Limousinen brachten dem Bolschewisten-Führer kein Glück. Im Januar 1918 feuerten russische Monarchisten auf sein Fahrzeug; Ende August war´s dann eine ukrainische Anarchistin, die ihm auf ähnliche Weise zu Leibe rückte. Lenin wollte gerade in sein Auto steigen, als die drei Schüsse fielen. Zwei davon verletzten ihn schwer.

Das muss anders werden!

Kaum hatte er sich einigermaßen erholt, ereilte ihn 1919 das nächste automobile Missgeschick. Lenins Wagen wurde in einem Moskauer Vorort von sechs bewaffneten Männern angehalten. Empört fragte der Revolutionsführer: "Hey, was is´n hier los? Ich bin´s doch – Lenin! " Aber den Räubern war das egal. Sie wollten nur das Luxusauto samt Papieren. Und weg waren sie!

Jetzt reichte es ihm – Lenin verschärfte den bolschewistischen Staatsterror, scharte permanent Wachleute um sich und wechselte die Automarke. Eine Silver-Ghost-Limousine von Rolls-Royce – die sollte ihm mehr Glück bringen. Prompt hörten die Attentate auf, und die sowjetische Regierung orderte gleich mehrere Dutzende solcher Dienstwagen. Für den Chef gab´s 1923 natürlich einen ganz persönlichen Rolls-Royce. Nun, Lenin wusste eben, was gut war. Und es schien ihn auch nicht zu stören, dass die Nobelmarke ihre Geburtsstunde einst im englischen Manchester gehabt hatte – dem Babylon des Kapitalismus.

Dort fand am 4. Mai 1904 im Midland Hotel das erste Treffen zweier britischer Gentlemen statt. Der Ingenieur Henry Royce und der Autohändler Charles Rolls wurden sich rasch einig – per Handschlag; den Schriftkram erledigten sie ein halbes Jahr später. Da hatte Herr Rolls längst die Alleinverkaufsrechte für alle Autos, die Herr Royce baute. Unter dem gemeinsamen Namen präsentierten sie ihre Modelle beim Pariser Autosalon. Und schon zwei Jahre danach eroberte der Silver Ghost von Rolls-Royce die Garagen der Reichen und Mächtigen. Für Charles Royce dauerte der Traum allerdings nur kurz. 1910 starb der leidenschaftliche Doppeldecker-Pilot 32-jährig als erster Brite bei einem Flugunfall. So gesehen also kein Wunder, dass Lenin für seine Fernreisen lieber die deutsche Bahn genommen hat.


0