Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. April 1915 Hans Leip schreibt den Text zu "Lili Marleen"

Der erste deutsche Millionenseller und der Inbegriff des Soldatenliedes – international: "Lilli Marleen", gedichtet von Hans Leip.

Stand: 03.04.2018 | Archiv

03 April

Dienstag, 03. April 2018

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Er muss wirklich ein guter Mensch gewesen sein. Im Frühsommer 45, als der Krieg zu Ende war und ein amerikanischer Oberst ihn in Tirol aufspürte, da war es schon spät am Tag. Er sei müde, sagte Hans Leip, er wolle lieber nicht mitkommen. Kein Problem für General Eisenhower. "Lassen wir ihn schlafen", soll er gesagt haben. "Dieser Mann ist der einzige Deutsche, der im Krieg der ganzen Welt Freude bereitet hat."

Lilli und Marleen

Angefangen hatte es dreißig Jahre früher. Die Welt hatte ihren ersten großen Krieg begonnen, und Leip, kaum dass er mit dem Studium fertig war, wurde eingezogen. So war aus dem Lehrer für Religion und Sport Hans Leip ein kaiserlicher Gardefüsilier geworden. Am 3. April 1915 schob Leip Nachtwache in Berlin. Anderntags sollte sein Regiment an die Karpatenfront versetzt werden. Den beiden Mädchen, die er gern hatte, hatte Leip schon Adieu gesagt. Lili hieß die eine, Marleen die andere. Und jetzt saß Leip in seiner Wachstube und schrieb ein Gedicht. Vom Abschiednehmen und vom Warten und Wiedersehen. Und als er mit dem Gedicht fertig war, waren ihm Lili und Marleen zu einer einzigen Figur zusammengeflossen.

Die Zeit verging, Leip kam gesund aus dem Krieg nach Hause, verdiente sein Geld fortan als Schriftsteller, und als er anno 1937 einen kleinen Band mit Gedichten herausgab, da standen darin auch, zum ersten Mal gedruckt, die Verse von "Lili Marleen". Sogar eine Melodie hatte er sich dazu überlegt. Nur sang die niemand. Erst als Norbert Schultze kam, Klavierspieler im Kabarett und Komponist von recyclebarer Werbemusik, ging es voran mit "Lili Marleen". Schultze gab "Lili Marleen" eine andere Melodie, aus einer alten Zahnpastawerbung, und Lale Andersen nahm das Lied auf Schellack auf. Das Arrangement - mit Zapfenstreichtrompete und Soldatenchor - gefiel Schultze zwar nicht, aber es war Sommer 39, und der nächste große Krieg stand schon vor der Tür.

Krempel aus dem Keller

Und ohne den wäre "Lili Marleen" nie berühmt geworden. Erst einmal nämlich wollte das Lied niemand hören. Lili war ein Ladenhüter. Und so wurden die Schellacks aus den Regalen der Plattenläden in die Keller verräumt. Zwei Jahre später stehen deutsche Truppen in Jugoslawien. Deutsche Radiofachleute übernehmen den Sender Belgrad, um für deutsche Hörer zu senden. Was fehlt, sind Platten mit guter Musik. In seiner Not fragt der Senderchef beim Reichssender Wien an, und dort schickt man gern den alten Krempel aus den Kellern, darunter: "Lili Marleen". Der Sender Belgrad spielt das Lied jeden Tag spät nachts am Schluss einer emotionalen Sendung, in der Grüße von Frontsoldaten an die Heimat verlesen werden. So macht man Hits. Plötzlich trudeln in Belgrad pro Woche über zehntausend Hörerbriefe ein, und in jedem wird nach "Lili Marleen" gefragt.

Und das Erstaunliche ist: auch Freund und Feind hören mit. Alle sind von Lili begeistert, jeder singt das Lied in seiner Heimatsprache, "eine weltweite Massenpsychose" nennt es der Kriegsberichterstatter und spätere Nobelpreisträger John Steinbeck. Am Ende ist "Lili Marleen" der erste deutsche Millionenseller, in über fünfzig Sprachen auf Platte erschienen. Bloß mit den Tantiemen für Leip und Schultze hatte man's nicht so. "Feindvermögen" waren sie, im Ausland eingefroren. Und Hans Leip, der "einzige Deutsche, der der ganzen Welt im Krieg Freude gemacht hat", hat bis in die 60er Jahre darum kämpfen müssen, dass er bekam, was ihm zustand.


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