Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. Februar 1857 Gustave Flaubert freigesprochen

Heute gilt der Roman als eines der großen Werke der Weltliteratur: "Madame Bovary" von Gustave Flaubert. Bei seinem Erscheinen 1856 war man weniger dieser Meinung. Damals machte man sich vor allem wegen der Moral und der guten Sitten Sorgen, die Flauberts Werk, nach Ansicht der Zensurbehörde mit Füßen trat. Autorin: Katharina Hübel

Stand: 07.02.2022 | Archiv

07 Februar

Montag, 07. Februar 2022

Autor(in): Katharina Hübel

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

"Ich erwarte keinerlei Gerechtigkeit. Ich werde meine Haft antreten und selbstverständlich niemanden um Gnade bitten." Mit dieser heroischen Einstellung trat der bis dahin noch recht unbekannte französische Autor Gustave Flaubert erhobenen Hauptes vor die sechste Kammer des Pariser Strafgerichts. Angeklagt war er stellvertretend für eine Figur, die er geschaffen hatte.

Eine Frage der Moral

Madame Bovary. "Verstoß gegen die öffentliche Moral", lautete die Anklage. Literatur als Angriff auf die Ordnung der Gesellschaft. Was Mitte des 19. Jahrhunderts die Obrigkeit auf den Plan rief: Madame Bovary, eine gelangweilte, frustrierte und unterforderte Frau, die in ihrer Ehe keine Leidenschaft findet und in der Provinz zwischen Rindermärkten und grauen Gewändern einzugehen droht, bricht mit allem: Der Ehe, den guten Sitten, der sozialen Klasse. Sie macht sich strafbar, indem sie mehrfach ihren Mann betrügt, ihn in Schulden stürzt mit einem nicht standesgemäßen Luxusleben. Mehr noch: Die Rolle, die ihr als Frau zugedacht ist, akzeptiert sie nicht: Sie reitet wie ein Mann, raucht wie ein Mann und führt beim Tanz. Wenn diese Lektüre in die Hände junger Mädchen falle, befürchtete der Staatsanwalt Ernest Picard ((gesprochen: Ernest Pikar)), dann "erreicht diese Verführung das Herz". Ein Glück kannten weder Staatsanwalt noch Richter die erste Fassung der Bovary. Fünf Jahre hatte Gustave Flaubert diszipliniert und in harter Arbeit um das Buch gerungen. Um neun Uhr begann sein Schreibtag in der Einsamkeit, im Häuschen seiner Mutter, es wurde zu Mittag gespeist, dann zwei Stunden geschlafen und schließlich bis Mitternacht durchgeschrieben. Immer wieder geht Flaubert über das Manuskript. Formuliert er die Leidenschaften und Passionen der Bovary zunächst aus – "Fifty Shades of Grey" lässt grüßen – so erzählt die Endfassung mehr das, was da gar nicht mehr steht.

Da wundert sich nur noch der Kutschfahrer, weshalb die Herrschaften so gar nicht anhalten wollen und ihn zum zehnten Mal durchs Dorf schicken.

Eine Frage der Kunst

Doch die Fantasie des Staatsanwaltes reichte offensichtlich aus für eine Anklage. Von Flaubert, der selbst einmal Jura studiert und nie beendet hatte, stammt der Satz: "Ich scheiße auf die Rechtswissenschaften." Und so ging er auch als Schriftsteller selbstbewusst in den Prozess, bereit, sich für seinen Roman zu opfern. Mit ihm hat Flaubert einen ganz neuen Realismus in der Literatur eingeläutet und den bis dahin so geschmähten Roman in den Rang einer Kunstform erhoben. Dass vor Gericht jedoch wenig über seine Kunst, mehr über das Verhalten der Bovary gesprochen wurde und dass man ihr zu Gute halten könne, dass sie ja wirklich einen Langweiler als Ehemann habe, regte Flaubert regelrecht auf. Bovarys "Existenz" erinnerte ihn an eine "schimmelfarbene Assel", die Frau nervte ihn immens. Am siebten Februar 1857 wurde Flaubert zu seinem Leidwesen auch noch freigesprochen. Und der sich daran anschließende Weltruhm war ihm zuwider. Wäre seine Kunst vom Richter verstanden worden, hätte er vermutlich verurteilt werden müssen.


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