Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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14. Oktober 1960 Familie Bacardi wird enteignet (14.10.1960)

Bacardi-Rum mit Firmensitz auf den Bermudas gehört zu den meistverkauften Spirituosenmarken der Welt. Aber eigentlich stammt das Unternehmen aus Kuba. Nach der kubanischen Revolution war dort aber Schluss mit lustig reich werden – Familie Bacardi wurde entschädigungslos enteignet. Autor: Thomas Grasberger

Stand: 14.10.2021 | Archiv

14 Oktober

Donnerstag, 14. Oktober 2021

Autor(in): Thomas Grasberger

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Die bairische Sprache in ihrem grenzenlosen Reichtum hat sogar für das Durst-Prekariat einen eigenen Ausdruck: der Noagalzuzla. Der Noagalzuzla ist einer, der Getränkereste aus fremden Gläsern saugt, um sich kostenlos die nötige Bettschwere zu verschaffen. Nun steht dieser Noagalzuzla in der Achtung der trinkenden Menschheit nicht sonderlich weit oben, was aber nichts mit Ausgrenzung Mittelloser zu tun hat. Schließlich wurden auch schon Reiche beim Reste-Saufen ertappt. Im oberbayerischen Altötting etwa erzählt man sich heute noch von einem wohlhabenden Kaufmann, der vor Jahrzehnten als notorischer Noagalzuzler berüchtigt war. Auf die Idee, den Mann anzuzeigen, nur weil er abgestanden-warmes, also lackes Restbier entwendete, wäre niemand gekommen. Man beließ es dabei, den eigenen Krug zu sichern, wenn sich der Noagalzuzler näherte.

Auszuzelt is

Aber auch im katholischen Bayern werden die Getränke-Regeln strenger. Als unlängst – wiederum in Altötting – zwei Unbekannte "mehrere Flaschen Bier" aus einer Brauerei entwendeten, rief der Besitzer – reichlich unchristlich – die Polizei. Der gute alte, straf-mindernde "Mundraub" ist halt seit 1975 abgeschafft.

Allzu durstige Fremdtrinker müssen also mit Strafe rechnen. Anders verhält es sich, wenn der Staat selber zuschlägt. Wie in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als im Zuge der Säkularisation alle Klöster enteignet wurden. Samt der dazugehörigen Klosterbrauereien!

Noagalweis oder im großen Stil

Ob die kubanischen Revolutionäre um Fidel Castro und Che Guevara solche Feinheiten der bayerischen Geschichte kannten, ist nicht überliefert.

Fest steht, sie haben vom bayerischen Minister Montgelas gelernt und den Coup mit der Alkohol-Enteignung erfolgreich kopiert. Mangels Klosterbrauereien mussten in Kuba allerdings die Rum-Brenner herhalten. Allen voran die seit 1862 auf der Insel ansässige katalanische Familie Bacardi. Die hatte noch 1959, zu Beginn der kubanischen Revolution, recht eilfertig meterlange Spruchbanner vom Firmendach wehen lassen: "Gracias Fidel!" – "Danke für die Revolution!" Was die Bacardis aber schon im Jahr darauf bereut haben dürften: Am 14. Oktober 1960 wurde die Familie nämlich per Gesetz entschädigungslos enteignet. Klugerweise hatten die Schnapsbrenner zuvor wohlweislich Rezeptur und Hefestamm ihres hauseigenen Rums auf die Bahamas geschmuggelt. Ein Großteil der Familie setzte sich bald schon in die USA ab, um fortan den ein oder anderen Dollar auf dem Weltmarkt für Spirituosen zu verdienen. Ganz nebenbei rächte man sich auch an den roten Revolutionären. Mitglieder der Bacardis beauftragten Attentäter, die Che Guevara und die Castros beseitigen sollten; sie planten Putschversuche und organisierten Boykottmaßnahmen gegen die Insel-Kommunisten. Denn in Kuba selbst brannten die durstigen Revolutionäre nach den Enteignungen weiterhin Rum, auch in der Original-Destillerie der Bacardis. Was die Genossen nicht kreuz-fidel selber schluckten, sollte Devisen bringend in alle Welt exportiert werden.

Und was ist die Moral unserer kleinen Durst-Geschichte? Wer anderen Leuten Bier oder Schnaps wegtrinkt, der sollte es entweder in ganz kleinen Schlucken tun, also "noagalweis". Oder eben gleich im ganz, ganz großen Stil.


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