Bayern 2 - Das Kalenderblatt


2

19. April 1912 Untersuchungen zum "Fall Titanic" beginnen

Die Titanic ist ein Mythos - und ein Mythos ist per se nichts Logisches. An der Untersuchung zur Schiffskatastrophe, die am 19. April 1912 begann, lag es also nicht, dass die Titanic bis heute für den bekanntesten Schiffsuntergang der Passagierschifffahrt steht.

Stand: 19.04.2010 | Archiv

19 April

Montag, 19. April 2010

Autor: Herbert Becker

Redaktion: Thomas Morawetz

Im Dezember 1987 kollidierte vor der philippinischen Insel Mindoro die Fähre Doña Paz mit einem Tanker. Beide Schiffe sanken. Dem Ergebnis einer amtlichen Untersuchung zufolge starben bei dem Unglück insgesamt 4.386 Menschen. Soweit bekannt handelt es sich um das schwerste Schiffsunglück, das sich je in Friedenszeiten ereignet hat.

Im April 1912 ging die Titanic unter; ungefähr fünfzehnhundert Menschen kamen ums Leben. Auch das war eine der ganz großen Katastrophen in der Geschichte der Passagier-Schifffahrt - und dennoch ist es keine Selbstverständlichkeit, dass gerade das Schicksal der Titanic so sehr im allgemeinen Bewusstsein blieb. Immerhin liegt ihr Ende ein Dreivierteljahrhundert weiter zurück als das der Doña Paz, und bei deren Untergang verloren fast drei Mal so viele Menschen ihr Leben.

Die Doña Paz ist weitgehend vergessen, über die Titanic aber werden bis heute Bücher geschrieben und Filme gedreht, U-Boote tauchen zu ihrem Wrack hinab, um es zu untersuchen und neue Erkenntnisse über die Ursachen des Untergangs zu gewinnen; Gegenstände, die man aus dem zerfallenden Schiffskörper geborgen hat, werden in Ausstellungen gezeigt oder zu hohen Preisen verkauft - ein Bullauge brachte angeblich rund 23.000 Euro ein! - und für 30.000 Euro können sogar Privatpersonen eine Tauchfahrt in 3.800 Meter Tiefe buchen, um sich das, was von dem Luxusliner übrig ist, persönlich anzusehen.

Die Titanic ist ein Mythos - und ein Mythos ist per se nichts Logisches. Schon der Gedanke, ein Schiff Titanic zu nennen, ist bemerkenswert, immerhin handelt es sich bei den Titanen in der griechischen Mythologie um jenes Göttergeschlecht, das im Kampf gegen die Olympier unterlag und in den Tartaros gestürzt wurde, einen Ort noch unter der Unterwelt. Wahrscheinlich wusste das bei der White Star Line, die das Schiff bauen ließ, niemand; man sah in einem Titanen wohl nichts anderes als einen kraftstrotzenden Riesen. Und schließlich war ja die Titanic, als sie vom Stapel lief, das größte Schiff der Welt: 269 Meter lang, Platz für 3.300 Passagiere. Und dann die Ausstattung! Elegante Suiten, stilvolle Rauch- und Speisesäle, türkisches Bad, beheiztes Schwimmbecken, Squashanlage, Gymnastikraum - alles vom Feinsten.
Jedenfalls in der ersten Klasse. Es gab auch eine zweite und eine dritte, aber für die Entstehung des Mythos waren die ohne Belang. Wer immer über das neue Schiff berichtete, hielt den Blick starr auf die Superlative gerichtet, auf das Promenadendeck, wo sich Prominenz aufhielt, unter ihr die vier reichsten Männer der Welt!

Dass nur für die Hälfte der Mitreisenden Rettungsboote vorhanden waren, sah niemand. Das stellte - neben ein paar anderen Mängeln - das Komitee des US-Senats fest, das am 19. April 1912 mit den Untersuchungen zu der Katastrophe begann. Aber mein Gott, Untersuchungsergebnisse ... Sicher, sie hatten ein paar Auswirkungen, aber nicht auf die Mythenbildung. Da fielen die Gerüchte weit mehr ins Gewicht, zum Beispiel dasjenige, dass die Band zuletzt "Näher mein Gott, zu Dir" spielte. Derlei bleibt im Gedächtnis - ob es nun stimmt oder nicht. Das andere vergisst man. So wie bei dem philippinischen Schiff, bei dessen Untergang es so viele Tote gab. Doña ..., Doña ... wie hieß es gleich?

Vergessen. War ja aber auch kein Name, der irgendwie ... gigantisch klang. Oder titanisch.


2