Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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24. September 1906 Expressionistische Gruppe "Brücke" stellt zum ersten Mal aus, erfolglos

Künstler erleben das: Sie sind reif, die Zeit ist aber noch nicht reif für sie. Der expressionistischen Gruppe "Brücke" ging es genauso. Die erste Ausstellung ist ein Flop, später kosten die meistens sehr freizügigen und provokanten Werke der beteiligten Künstler Hunderttausende. Autorin: Brigitte Kohn

Stand: 24.09.2021 | Archiv

24 September

Freitag, 24. September 2021

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Was expressionistische Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschaffen haben, ist bis heute sehr beliebt beim Publikum. Ihr bevorzugtes Motiv war der "freie Mensch in freier Natürlichkeit", eingefangen in schnellen Strichen, getaucht in leuchtende Farben, ohne Rücksicht auf künstlerische Konventionen. Die Lust an der antibürgerlichen Revolte, die Sehnsucht nach nackter, elektrisierender Lebendigkeit brachte Kunstwerke hervor, die heute Preise in Millionenhöhe erzielen.

Es war die Künstlervereinigung "Brücke", die dafür sorgte, dass auch im wilhelminischen Deutschland der Anschluss an die europäische Moderne gelang. Vier junge Maler, alle Anfang Zwanzig, beschlossen im Jahre 1905, ihre Kräfte zu bündeln und als Speerspitze einer neuen Zeit in die Kunstgeschichte einzugehen. Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rotluff teilten sich in Dresden ein Atelier und die Modelle. Die mussten ihre Posen jede Viertelstunde wechseln, denn den Künstlern ging es ja nicht darum, die äußere Welt detailgenau abzupinseln, sondern um den spontanen Ausdruck dessen, was im Inneren brodelte.

Alle Viertelstunde drehen

Oft fielen die Hüllen auch draußen in freier Natur an den Moritzburger Seen. Wenn örtliche Gendarmen auftauchten, um Zucht und Sitte zu verteidigen, schwammen die Künstler mit den Modellen schnell zu den Inseln hinüber, die Malutensilien auf den Köpfen festgebunden. Natürlich war die Atmosphäre erotisch aufgeheizt, man wollte ja die Grenzen niederreißen zwischen Kunst und Leben, Arbeit und Genuss.

Unter den Modellen waren auch Kinder, deren unbefangene, vorpubertäre Weiblichkeit die Maler besonders begeisterte. Zumindest einige Bilder lassen befürchten, dass auch sie in den Sog erotischer Phantasien geraten sind. Diese Bilder enthalten eine Botschaft, die die Künstler wohl nicht beabsichtigt haben: dass es das ersehnte Paradies freier erotischer Ursprünglichkeit nicht gibt, dass der Wunsch nach Macht und Manipulation es immer zu durchkreuzen droht.

Hottentotten im Frack

Sehr ästhetisch und völlig harmlos hingegen wirkt heute der in Holz geschnittene Frauenakt, der das Plakat für die erste große Ausstellung der Brücke-Maler schmücken sollte. Die Polizei verbot den Entwurf sofort, "da der Eindruck des behaarten Geschlechtsteils der weiblichen Gestalt hervorgerufen werde", so die Begründung. Die Ausstellung selbst, eröffnet am 24. September 1906, stieß beim konservativen Dresdner Publikum auf wenig Interesse, und Kritiker verlästerten die Künstler als "Hottentotten im Frack".

Die angeblichen Hottentotten aber waren geschäftstüchtige und geschickte Strategen. Sie schufen Bilder mit hohem Wiedererkennungswert, entwickelten eine Art Corporate Identity und holten immer mehr künstlerische Mitstreiter und finanzkräftige Mäzene ins Boot. So lange, bis der Gruppengeist einengend zu wirken begann. 1913 war die Gruppe am Ende, jeder ging seine eigenen Wege. Und doch, das wussten alle, wäre ihr flammender Aufbruch in die Moderne ohne die "Brücke" nicht möglich gewesen.


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