Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. April 1868 Eduard van der Nüll, Architekt des Wiener Opernhauses, erhängt sich

"In Wien musst erst sterben, damit sie dich leben lassen." So ging es auch dem Architekten des Wiener Opernhauses: Der Bau wurde verspottet und geschmäht, bis sich Eduard van der Nüll erhängte. Autor: Xaver Frühbeis

Stand: 04.04.2019 | Archiv

04 April

Donnerstag, 04. April 2019

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Es war eine Tragödie. Schuld daran hatten die grantelnden Wiener - und eine gehässige Presse. Fünf Jahre zuvor, bei der Grundsteinlegung, waren alle noch ganz zuversichtlich gewesen. Der Kaiser selbst hatte den neuen Platz für seine Hofoper ausgesucht. Das Gebäude sollte eine moderne Gasbeleuchtung bekommen, damit kamen neue Sicherheitsvorschriften, die Oper durfte nicht mehr eingeklemmt sein zwischen anderen Häusern, und für ein freistehendes Gebäude war innerhalb der engen Mauern der Stadt kein Platz gewesen. Jetzt aber, wo die Basteien geschleift wurden und Wien im Begriff war, eine moderne, offene Stadt zu werden, gehörte zu den ersten repräsentativen Bauvorhaben das neue Opernhaus.

Die "versunkene Kiste"

Den Architektenwettbewerb gewonnen haben Eduard van der Nüll und sein Freund und Partner August Sicard von Sicardsburg. Zwei Professoren, ein Team mit Erfahrung, die Wiener schätzen sie als Schöpfer prominenter Kirchen und öffentlicher Gebäude.

Hier allerdings, bei der neuen Oper, scheint einiges schiefgegangen zu sein. Der ganze Rohbau steckt seltsam tief in der Erde. Selbst der Kaiser hat sich hinreißen lassen und das halbfertige Haus eine "versunkene Kiste" genannt. Es können zwar die Architekten gar nichts dafür, es ist das Niveau der Ringstraße, das einen Meter höher liegt als vorgesehen. Ein Fehler des Hofbauamts, den man später korrigieren wird, aber momentan sieht es so aus als hätten die Architekten die Oper in den Boden versenkt.

Außerdem hat dummerweise kurz vorher auf der anderen Seite der Ringstraße der Wiener Ziegelbaron Drasche eine enorm repräsentative Miethausanlage errichten lassen. Die dem neuen Opernhaus jetzt ganz eindeutig die Schau stiehlt. Ein Stadtfremder an der Ringstraße: könnte der auf Anhieb erkennen, was hier die Oper ist? Das Gebäude links vom Ring? Oder das rechts?

"Alles ans" – wunderbar!

Und dann: was ist denn das bitte für ein Baustil? Van der Nüll und Sicardsburg sind Großmeister des Historismus. Hier trifft sich das Schönste und Beste aus diversen Epochen der Vergangenheit. Die Wiener wissen das zwar, aber jetzt finden sie es plötzlich irritierend und dichten Spottverse auf die beiden.

"Sicardsburg und van der Nüll, die ham beide keinen Styl. Griechisch, gotisch, Renaissance, des is denen alles ans!"

Und dann: die Presse. Sie überschlägt sich mit abschätzigen Artikeln, ein infamer Zeitungsschreiber hat die Oper gar als ein "Königgrätz der Baukunst" bezeichnet. Was für eine Demütigung. Ausgerechnet Königgrätz - der Ort der Schande und Schmach, Niederlage Österreichs im Krieg gegen die Preußen, das Land ist gerade erst dabei, sich aus der Schockstarre zu lösen.

Das alles schlägt den Schöpfern der neuen Oper auf's Gemüt. Und so findet am 4. April 1868 seine im achten Monat schwangere Ehefrau ihren Mann, den Architekten Eduard van der Nüll, erhängt in seiner Wohnung. Sein Partner August von Sicardsburg stirbt zwei Monate später, an einem Herzschlag. Beide Architekten haben die Fertigstellung ihres prominentesten Werks nicht erlebt.

Ein Jahr später wird die Hofoper mit einer Festvorstellung von Mozarts "Don Giovanni" feierlich eröffnet. Jetzt, wo es fertig ist, finden die Wiener das Haus ganz wunderbar. Und was sie seinerzeit so zu granteln gehabt haben, kann sich kaum einer mehr erklären. Den beiden Architekten - ist das keine Hilfe mehr.


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