Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. September 1812 E.T.A. Hoffmann benimmt sich daneben

Wo die Liebe hinfällt, fällt sie mitunter auf schwieriges Terrain. So verliebt sich der verheiratete Dichter E.T.A. Hoffmann in seine junge Gesangsschülerin Julia. Weil so eine Amour nicht geht, wie die Mama meint, soll Julia einen anderen heiraten. Unmöglicher Kerl, schimpft E.T.A. Autor: Xaver Frühbeis

Stand: 06.09.2021 | Archiv

06 September

Montag, 06. September 2021

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Christian Baumann

In Bamberg sitzen zwei und singen Liebesduette. Ein Mann und eine junge Frau sitzen dicht nebeneinander am Klavier, und die romantischen Duette, die sie singen, hat der Mann eigens komponiert, damit die beiden einander in die Augen schauen und anschmachten können. Es ist nämlich so, dass der Gute sich unsterblich in seine Schülerin verliebt hat. Er: das ist E.T.A. Hoffmann, ihr Name ist Julia Mark. Und das Ganze ist in gleich mehrerlei Hinsicht problematisch.

Ja ja, die Liebe…

Erstens: Hoffmann ist verheiratet. Zweitens: Julia ist erst vierzehn. Drittens: Er ist ein gescheiterter Opernkapellmeister, der sich mit Gesangsunterricht über Wasser hält, sie dagegen die Tochter eines reichen Konsuls. Dass da für ihn gar kein Weg hinführt, will - viertens: - Hoffmann gar nicht wissen. Was soll man denn auch tun, bei so viel Gefühlen? Hoffmann schreibt sie alle in sein Tagebuch. "Käthchen" nennt er sie dort, damit niemand ahnt, von wem er da schreibt. "Käthchen", schreibt er, "in ihr leben und sind wir!" Und für den Fall, dass seine Frau heimlich sein Tagebuch liest, schreibt Hoffmann die sensiblen Partien in griechischen Buchstaben. Dann kann sie das nicht entziffern. Und fünftens - wissen natürlich alle in seinem Umfeld, was da läuft. Weil Hoffmann sich aufführt wie ein verliebter Schüler. "Ein Gegenstand des Spotts" seien sie, heißt es. Und da muss Julias Mutter natürlich einschreiten. Frau Konsulin macht also Nägel mit Köpfen und sucht ganz einfach einen anderen Bräutigam aus für das Kind.

Jetzt wird geheiratet!

Johann Gerhard Graepel, ein reicher Kaufmannssohn, und offenbar ein recht unangenehmer Gesell. Nicht bloß in den Augen des eifersüchtigen Hoffmann, der in ihm einen geistlosen Trunkenbold sieht. Auch die anderen Kollegen mögen ihn nicht. Bloß Julia scheint nicht abgeneigt zu sein. Und was Hoffmann ganz besonders fuchsig macht: offenbar ist der Kerl auf Gebieten bei ihr siegreich, in die er gar nicht vorzudringen gewagt hätte. Er merkt das daran, weil Julia mit einem Mal so "wissend" guckt.

Der Höhepunkt in dieser Liebes- und Eifersuchtsgroteske ereignet sich an einem schönen Sonntag im Herbst. Am 06. September 1812 machen die Marks einen Familienausflug. Mit dabei: der künftige Bräutigam, origineller Weise hat man auch Hoffmann dazu eingeladen. Die Gesellschaft ist fröhlich, man trinkt einiges, der Bräutigam trinkt ziemlich viel, heim geht man zu Fuß, und alle merken schon: der Bräutigam hat zwar seiner Braut den Arm geboten, unterm Gehen aber wackelt und wankt er hin und her, die Braut kann ihn kaum mehr halten, und dann fällt er mit einem Mal längelang hin in den Dreck. Julia wird ganz blaß und Hoffmann: stinkewütend. Mit lauter Stimme, rot vor Zorn ruft er aus: "Jetzt liegt der da im Schmutz, dieser Scheißhund, wir haben doch auch alles was getrunken. Das kann auch bloß so einem gemeinen Kerl wie dem da passieren."

Daraufhin muss Hoffmann ganz allein nach Haus gehen. Und am nächsten Tag erteilt ihm die Mutter Hausverbot. So prosaisch endet die große Liebe des E.T.A. Hoffmann zu seiner Gesangsschülerin Julia Mark. Die heiratet danach ihren Graepel, doch die Ehe wird nicht glücklich, Hoffmann hat es geahnt, die beiden lassen sich nach ein paar Jahren wieder scheiden. Eine Seltenheit, in diesen Tagen. Was der Welt von diesem Abenteuer geblieben ist, ist diese Geschichte - und Hoffmanns entzückende Liebesduette. Die er danach wohl nie mehr mit irgendjemandem gesungen hat.


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