Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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24. Januar 1954 Dylan Thomas Hörspiel "Unter dem Milchwald" wird erstgesendet

Stimmen und Töne, die in den Kopf gehen, bunt werden, lebendig. Die plötzlich auch andere Stellen im Körper berühren, das Herz etwa. Dylan Thomas schafft das mit seinem ersten Hörstück "Unter dem Milchwald". Damit begründet er ein Genre, das bis heute magisch ist: Erzählkunst auf dem Sender. Autor: Frank Halbach

Stand: 24.01.2022 | Archiv

24 Januar

Montag, 24. Januar 2022

Autor(in): Frank Halbach

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Da spielen verschiedene Stimmen in verteilten Rollen, eine Tür knarzt, der Donner dröhnt, dramatische Musik untermalt die Stimmung – Hörspiel für das Kopf-Kino, wie man heute sagt. Aber man muss wohl anfangen, wo es anfängt. Und da nannte man Hörspiele Sende- oder Funkspiele.

König des Hörspiels

Schon 1918 begann die Firma Telefunken Theaterstücke für das Radio zu bearbeiten. Schnell war sich die Fachwelt einig: "Es gibt kein dramatisches Werk, das die Vorstellungskraft des Hörers mehr anreizt und darum so tief verfangen kann, wie das Funkspiel."

In der Bundesrepublik trat das Hörspiel ab 1945 einen Siegeszug an, der sich bis Ende der 1950er Jahre fortsetzte. 500 Hörspiel gingen jährlich On Air. Was, nun gut, womöglich teilweise auch daran gelegen haben könnte, dass in Nachkriegsdeutschland ein Großteil der Theater und Kinos zerbombt waren.

Jedenfalls wurde das Funkspiel zur Königsdisziplin des Radios. Und zum König des Hörspiels wurde: "Unter dem Milchwald" – das berühmteste Hörspiel der Rundfunkgeschichte. Das Meisterwerk aus der Feder des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas wurde von der BBC mit Richard Burton als Erzähler am 24. Januar 1954 urgesendet – wenige Monate nach Dylan Thomas‘ Tod. Noch im selben Jahr wurde "Unter dem Milchwald" als erstes Hörspiel überhaupt mit dem Prix Italia ausgezeichnet.

"Ein Spiel für Stimmen" - in Traum, Stille und Dunkelheit. Wie mit Tuschestrichen aus dem Handgelenk skizziert die Stimme des Erzählers die ersten Konturen der Handlung. "Anfangen, wo es anfängt" – so fängt es an.

Ein Tag in Llareggub

Aber natürlich hört es so nicht auf. Schon im Jahr der Ursendung übersetzt der österreichischer Lyriker Erich Fried das Vermächtnis von Dylan Thomas ins Deutsche und vom NWDR Hamburg erstgesendet. Vier weitere Male wurde "Unter dem Milchwald" seither als Hörspiel neu produziert, einmal sogar in einer niederdeutschen Fassung.

Und so erwacht im Radio immer wieder das walisische Fischernest Llareggub der Schauplatz, ach was Hörplatz! der Handlung. Eine Handlung, die nur einen einzigen Tag umfasst, durch den der allwissende Erzähler den Hörer führt, ihm die Träume und innersten Gedanken der Einwohner Llareggubs anvertraut. Sinnliche Metaphern, Stimmen, Lieder, Geräusche verweben das Ganze zu einem Hörbildwunderwerk.

Llareggub, was für ein wunderbares Kaff! Da gibt es die Gattin des Postboten Willy Nilly, die über dampfendem Kessel bevorzugt - aber nicht nur - Liebesbriefe öffnet. Den Schuster Jack Black der seinen Hosenstall – sicher ist sicher - mit Schustergarn rigoros zugenäht hat. Mr. Pugh, der seiner Gemahlin jeden Morgen den Tee ans Bett bringt - und hoffnungsvoll fantasiert, es wäre Arsen. Oder der blinde Käpt'n Cat, der alles hört - sogar die Stimmen der ertrunkenen Seemänner.

Klar, dass das dann schließlich verfilmt wurde. 1973 auch mit Richard Burton. Und mit Peter O’Toole. Ein bisschen sehr visuell. Denn "Unter dem Milchwald" bleibt ein Hörspiel, der König des Hörspiels: zum Auffressen, mit Stumpf und Stiel, selbst wenn er Dialekt spricht!


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