Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. August 1981 Drogenalarm: Das Bundesgesundheitsministerium verbietet Frauengold

Beruhigend, stimmungshebend, rezeptfreu und speziell für Frauen, ein wunderbares Herz-Kreislauf-Tonikum: Frauengold. Drin war neben jeder Menge Alkohol leider auch nierenschädigende und krebsfördernde Aristolochiasäuren. Deshalb wurde Frauengold vom Bundesgesundheitsministerium verboten. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 19.08.2021 | Archiv

19 August

Donnerstag, 19. August 2021

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Erst geht es nicht anders. Der Krieg hat die Männer geholt. Also müssen die Frauen ran, sonst läuft der Laden nicht. Dann ist Frieden. Aber der Krieg hat die Männer behalten: im Grab, im Lager, im Lazarett. Wieder müssen die Frauen ran: aufräumen, aufbauen, Geld und Essen ranschaffen. Jede zweite Frau arbeitet, krempelt die Ärmel hoch, bringt sich und den Nachwuchs durch.

Frauensache

1949 ist das Gröbste überstanden. Die D-Mark kommt, Großdeutschland heißt nun zum Teil BRD und der Kanzler 14 Jahre lang Adenauer. Es geht bergauf, nur nicht für die Frauen: das Wirtschaftswunder ist Männersache. Die Herren möchten kommandieren und ihr kleines Frauchen wiederhaben. Anpacken dürfen sie ja, die Damen, aber bitte im Haus, nicht draußen in Hosenberufen. Die Jahre der Not erzwangen Abnormes. Jetzt darf die Frau wieder sein, was ihrem Wesen, ihrer tiefsten, wahren Bestimmung entspricht: Gattin, Mutter, der Kinder und des Herdes fromme Hüterin.

Weil das Grundgesetz 66 Väter und nur vier Mütter hat, geht die Rolle rückwärts reibungslos durch: "Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben und drinnen waltet die züchtige Hausfrau". Ist doch traumhaft! Alles da, wo's hingehört. Trotzdem fühlen sich viele Frauen niedergeschlagen, rastlos, leer. Aber meine Damen, das muss doch nicht sein. Es gibt ja Frauengold! Die medizinische Wunderkur! Ein Herz- und Kreislauftonikum, ganz auf Ihren Organismus abgestimmt: Frauengold stärkt, schenkt Lebensfreude, dämpft Ängste und entkrampft an allen Tagen. Nervös, lustlos, müde, abgespannt? Ein, zwei, gern auch drei Gläschen täglich, und du blühst auf. All das für schlappe 22 Mark die Flasche, rezeptfrei in Apotheken, Reformhäusern und Drogerien.

Vorsicht Suchtgefahr!

Der massiv beworbene Kräutertrank ist ein Renner! Und so gesund! Na ja, obwohl, 17 Prozent Alkohol sind kein Pappenstiel, aber muss man immer alles zerreden? Denn ganz egal ob solo oder im Süffelkränzchen genossen: endlich ist Mutti wieder ganz für Vati da! Ein wenig angeschickert womöglich, aber schmiegsam, lieb und absolut tiefenentspannt.

In den 60er Jahren fegt die Vollbeschäftigung den Arbeitsmarkt leer, der Aufschwung braucht Frauen. Sie arbeiten in der Verwaltung, im Büro, in Pflegeberufen. Tagsüber. Danach, davor, daneben stemmen sie das bisschen Haushalt und die Familie. Ganz schön anstrengend, die Doppelbelastung. Der Chef ist ein Ekel, der Job mies bezahlt? Die Kinder nerven, der Gatte nörgelt? Na und! Frauengold glättet das faltigste Nervenkostüm. Wer eifrig kurt, kann auch an gewissen Tagen und in gewissen Stunden stets gut gelaunt und lustvoll funktionieren. Sie wissen ja: "Durch Frauengold wirst du glücklich gemacht - und glücklich machen!" Wir verstehen uns, zwinker, zwinker!

Dass Verbraucherschützer längst vermehrt vor irreführender Werbung, Betrug und erheblicher Suchtgefahr warnen, geschenkt. Frauengold übersteht jede Krise. Erst als sich herausstellt, dass einige Inhaltstoffe Krebs auslösen und die Nieren schädigen können, ist Schluss mit lustig. Am 19. August 1981 nimmt der Bundesgesundheitsminister die schmierige Fünfzigerjahredroge endlich vom Markt.


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