Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. Oktober 1948 Die "Ente" 2CV schlüpft aus dem Ei

Als Citroën einen minimalistischen Kleinwagen mit zwei Pferdestärken – Deux Chevaux - präsentierte, spottet die Fachwelt über die hässliche kleine Ente. Doch die mausert sich unbeirrt zum Kult-Auto. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 07.10.2020 | Archiv

07 Oktober

Mittwoch, 07. Oktober 2020

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Aschenputtel schnappt sich den Prinzen, Paul Potts wird Opernstar, das hässliche Entlein entpuppt sich als Schwan. Solche Stories kommen gut. Sie bergen eine tröstliche Botschaft: in jedem Grau schlummert ein Regenbogen, wir sind alle Stars in spe. Und wenn die inneren Werte stimmen, ist der Durchbruch nur eine Frage der Zeit.

Das hässliche Entlein

Eine dieser Entlein-wird-Schwan-Legenden fängt an, wie es sich für solche Geschichten gehört: mausgrau, unscheinbar, in aller Stille im 15. Pariser Stadtbezirk. Hier tüftelt Citroën in den 1930er Jahren an einem Billigauto für die Landbevölkerung. Schlicht soll es sein, das robuste Bauerngefährt, gutmütig, geräumig, geländegängig und derart weich gefedert, dass ein Korb roher Eier beim Ritt über den Acker unversehrt bleibt.

Weil genial einfach meist ziemlich schwierig ist, zieht sich die Planung, dann bremst der Krieg den Produktionsbeginn aus. Doch Citroën glaubt an seine Motorisierungsmission, und am 7. Oktober 1948 ist es soweit: Auf dem Pariser Autosalon präsentiert das Unternehmen stolz den ersten 2CV. Tusch, Hurra, Fanfaren - von wegen! Beim Anblick der glotzäugigen Wackelkiste mit Rollverdeck und schlappen 9 PS kugelt sich die Fachwelt vor Lachen und fragt hämisch nach dem Dosenöffner für die klapprige Konservenbüchse.

Zum Glück tickt Jean Normalverbraucher anders als die blasierten Pressesnobs. Der wohlfeile 2CV wird über Nacht zum Verkaufserfolg. Anfangs schaukelt sich der Deux Chevaux in die Herzen der Franzosen, Ende der 1950er Jahre setzt er seine Charmeoffensive jenseits der gallischen Grenzen fort. Vor allem Mittel- und Nordeuropäer lieben ihre "Ente" heiß und innig, zunächst als erschwingliches Nutzvehikel, später als fahrbares Lifestyle-Accessoire.

Trend-Schwan

In den 60er Jahren küren Hippies, Kreative und Salonrevoluzzer den 2CV zum politisch korrekten Protestmobil mit starker Botschaft. Wer Ente fährt, lebt selbstbestimmt, konsumbefreit und der freien Liebe zugetan: Fenster hoch, Kippe an, erst zur Demo, danach zum Baggersee. Nachdem sich der 68er-Pulverdampf verzogen hat, watschelt die Ente siegreich weiter, wahlweise als Gegen-Statussymbol für Ökos und Studenten oder trendiger Zweitwagen für gut eingesäumte Teilzeit-Individualisten.

Zuletzt macht die spartanische Understatement-Karosse sogar Kulturkarriere. Samuel Beckett zelebriert das Entenfahren als Reinform existenzialistischer Lebensart, der Klamaukgendarm Louis de Funes stilisiert den Deux Chevaux zum rollenden Frankreich-Symbol. Dass Enten durchaus fliegen können, beweist James Bond, der seinen 2CV in tödlicher Mission querfeldein springen und dabei Olivenbäume abernten lässt.

Aber wie das immer geht, geht es auch hier: Das zum Schwan mutierte Entlein vergreist. In den späten 80ern ist das automobile Kultobjekt hoffnungslos veraltet. Mit der retroschicken Charleston-Serie probt Citroën einen nostalgischen Neustart, liefert jedoch nur einen optisch aufgemotzten Schwanengesang. Irgendwann ist auch dieses Lied ausgesungen, und am 27. Juli 1990 rollt der letzte 2CV vom Band: Die Ente darf endlich in Rente.


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