Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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16. März 2001 Deutschsprachige Wikipedia geht an den Start

Früher hat man mit Freunden diskutiert, wer wusste was und wer wusste das aber anders? Heute zückt jeder das Smartphone und fragt Wikipedia. Dass diese Wissenssammlung so schnell Brockhaus und Co. aus den Wohnzimmerregalen verdrängen würde, hatten die wenigsten erwartet. Autor: Hellmuth Nordwig

Stand: 16.03.2022 | Archiv

16 März

Mittwoch, 16. März 2022

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Die erste Suche in Wikipedia gilt heute der Ortschaft Ostrhauderfehn. Denn ein Kollege zieht dorthin, warum bloß? Also: Liegt im Landkreis Leer in Ostfriesland, genauer: im Overledingerland, 2 Meter über dem Meeresspiegel, in einer Geestlandschaft, die schon seit der Bronzezeit besiedelt ist. Am ehesten ins Auge fallen in Ostrhauderfehn die höchsten Bauwerke in Ostfriesland, nämlich die Antennen eines Längstwellensenders - und so weiter, und so weiter. Wer nicht weiß, was Geest bedeutet oder was die Längstwelle von der Langwelle unterscheidet, der klicke einfach auf die einschlägigen Links.

Schlauer durch Klick

Das kann man problemlos ein Leben lang so fortsetzen, denn die deutschsprachige Wikipedia verzeichnet etwa 2,7 Millionen Artikel. Gerade mal 300.000 waren es in der letzten Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie, bevor sie 2014 eingestellt wurde - so erfolgreich war die Wikipedia da schon. Begonnen hat sie auf Deutsch im Jahr 2001 mit einem Rechtschreibfehler. Am 16. März schreibt Jimmy Wales, der zwei Monate zuvor die englischsprachige Wikipedia ins Leben gerufen hatte, seinen Mitstreitern: "Ich möchte Wikipedias in ein paar alternativen Sprachen einrichten. Französisch und Deutsch wären gut. Folgender Name: deustche(sic!).wikipedia.com. Ist das die richtige Bezeichnung?" Irgendwer muss den Fehler rechtzeitig bemerkt haben, bevor die Website online ging.

Holpriger Start

Die ersten vier Artikel stammen alle von einem Nutzer namens SoniC. Das Besondere an der Wikipedia ist ja, "doss a jeda dro midschreim deaf", wie es in der bairischen Ausgabe der Internet-Enzyklopädie heißt. Selbstverständlich kann man auch auf Bairisch über die Artikel "dischkrian", wo auf Hochdeutsch nüchtern "Diskussion" steht. SoniC hat die deutschsprachige Welt um seine Erkenntnisse zur griechischen Insel Pylos und den dortigen Palast des Nestor bereichert, er hat über die Programmiersprache SNOBOL4 und den Dichter Vergil geschrieben, bevor sich dann einen Monat später ein weiterer Nutzer mit den Geheimnissen der Polymerase-Kettenreaktion einschaltete.

Wer SoniC ist, das werden wir leider nie herausbekommen. Denn wer die Enzyklopädie nutzt, kann zwar haarklein nachvollziehen, wann Artikel wie verändert wurden - sieht aber nur den Spitznamen der Autorinnen und Autoren. So muss offenbleiben, ob es sich bei SoniC um einen Fan der japanischen Computerspielserie "Sonic the Hedgehog" handelt, die Kungfuman in Wikipedia vorstellt.

Wie haben wir solche Dinge eigentlich in grauer Vorzeit erfahren, also vor mehr als 20 Jahren? Klar, es gab diese Schrankwände, gern aus dunkler Eiche, in denen je nach Kassenlage der 30-bändige Brockhaus thronte oder wenigstens der Neue Herder in zwei Bänden zu finden war. In dem sucht man aber zwischen Ostrau und Östrogen leider vergebens nach Ostrhauderfehn. Und was den Kollegen bewegt, seinen Wohnsitz dorthin zu verlegen - diese Antwort kann auch Wikipedia nicht geben.


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