Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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13. März 1908 Deutsches Reich sichert sich größtes Dino-Skelett der Welt

Das größte montierte Saurierskelett der Welt steht in Berlin: Giraffatitan brancai ist fast 14 Meter hoch und das Ergebnis jahrzehntelanger Puzzlearbeit. Seine Einzelteile stammen aus Tansania und sorgen heute für Diskussionen. 1908 hatte das Deutsche Reich den Fundort für sich reklamiert. Autorin: Prisca Straub.

Stand: 13.03.2023 | Archiv

13 März

Montag, 13. März 2023

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Die Verhandlung dauert nur wenige Minuten. Die sechs einbestellten afrikanischen Dorfvorsteher haben einen Fußmarsch von mehreren Tagen hinter sich - doch der Kaiserliche Bezirksamtmann macht es kurz: Es geht um die Besitzverhältnisse am Tendaguru, einem verlassenen Hügel im Südosten des heutigen Tansania. Immer wieder wäscht der Regen dort weit verstreute, ungeheure Knochenreste frei. Die Bevölkerung meidet die geisterhafte Gegend. - 'Ansiedlungen gibt es hier wohl keine?' 'Oder jemanden, der das Land für sich geltend macht?' - Zwei knappe Schreibmaschinenseiten, eine Kartenskizze. Datum, Unterschrift. Damit ist die Landnahme abgeschlossen. Am 13. März 1908 geht das als herrenlos deklarierte Tendaguru-Areal in den Besitz der Kolonie Deutsch-Ostafrika über.

Fossilienjagd am Dino-Hügel

In den kommenden fünf Jahren werden Hunderte von Seekisten gefüllt: gigantische Oberarmknochen und Unterschenkel. Meterlange Rippen, tonnenschwere Wirbel. Unter Leitung des Berliner Museums für Naturkunde werden weit über 200 Tonnen fossile Saurier-Knochen freigelegt. Ungezählte afrikanische Grabungshelfer schleppen die gewaltigen Lasten auf Schultern und Köpfen in die nächstgelegene Küstenstadt. Mehr als vier Tagesmärsche entfernt, wo man die fossile Beute in die Reichshauptstadt Berlin verschifft.

Die Ankunft der Dinosaurierknochen versetzt das Berliner Museum in helle Aufregung: Wohin bloß mit den Überresten der Riesenechsen? Eine unabsehbare Flut von Kisten ergießt sich in Lagerräume, verstellt Korridore, blockiert Treppenaufgänge - und es werden jede Woche mehr.
Wie soll man in diesem Chaos zusammengehörende Einzelknochen finden - säubern, präparieren und montieren? Schnell wird klar: Das kolossale Dino-Puzzle wird Zeit kosten. Vielleicht Jahrzehnte.

Das Starobjekt vom Tendaguru

Und tatsächlich: Es dauert fast 30 Jahre und Abertausende von Arbeitsstunden, dann reckt das Starobjekt vom Tendaguru im Lichthof des Berliner Museums seine enormen Halswirbel bis zur gläsernen Decke. Mit fast 14 Metern Höhe ist der inzwischen wissenschaftlich korrekt bezeichnete Giraffatitan brancai das größte montierte Saurierskelett der Welt. Manche Einzelteile sind glatt und rötlich, andere grau und rau. Denn das Knochenensemble ist zusammengesetzt aus Bruchstücken mehrerer Individuen - noch dazu unterschiedlich alt und aus unterschiedlichen geologischen Schichten. Im Lauf der Jahre bekommt der Riesen-Dino noch ein paar Haltungskorrekturen. Denn wie man inzwischen weiß, legte das Reptil seinen langen Schwanz nicht auf dem Boden ab. Und so schwebt das Schwanz-Skelett in Berlin heute artgerecht ein paar Meter über der Erde.

Inzwischen hat sich der Blick auf die Fossilien erneut gewandelt. Er ist politisch geworden: Es geht um Giraffatitans tansanische Herkunft und die Umstände der kolonialen Grabung: Steht der Riesensaurier rechtmäßig in Berlin? Oder sollte der Star zurückgegeben werden? - Übrigens: Noch immer lagern jede Menge ungeöffnete Transportkisten im Archiv des Naturkundemuseums. Wer weiß, wer da noch alles ausschlüpfen könnte.


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