Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. Februar 1795 Der Kronleuchter von Haydns "Miracle-Sinfonie" fällt herab

Ein Wunder! Niemand wurde verletzt, als während Haydns Sinfonie der Kronleuchter herabkrachte. Daher bekam die Sinfonie den Ehrennamen: Miracle-Sinfonie. Leider war es die falsche Sinfonie… Autor: Xaver Frühbeis

Stand: 02.02.2018 | Archiv

02 Februar

Freitag, 02. Februar 2018

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

In London am Haymarket steht das Theater der Königin. "Her Majesty's Theatre". Früher hieß es "The Queen's Theater", und zwischendurch auch mal "The King's Theatre". Das Haus ändert seinen Namen mit dem Geschlecht des Staatsoberhaupts. Das Theater ist alt und ehrwürdig, früher war es das größte und schönste Opernhaus in ganz England, und von den Decken hingen die größten und schönsten Kronleuchter. An einer Seite des Theaters hat man im Jahr 1793 sieben Wohnhäuser abgerissen und statt ihrer einen imposanten Konzertsaal hingebaut. In diesem Saal hat im Jahr drauf Joseph Haydn die vierte und letzte Saison seiner legendären Londoner Orchesterkonzerte begonnen. Haydn hatte für die musikbegeisterten Engländer eine Reihe von Sinfonien komponiert, hat sie dort uraufgeführt und das Orchester dabei, wie's der Brauch war, eigenhändig vom Klavier aus dirigiert. Und an einem Abend ist man dabei nur knapp an einem Unglück vorbeigeschrammt.

Ein Wunder…

Am 2. Februar 1795 hat sich in dem Saal während des Konzerts ein schwerer Kronleuchter von der Decke gelöst. Der Leuchter fiel hinab ins Parkett, brach dort in Stücke, erschlug aber niemanden. Zufällig nämlich stand unter dem Leuchter keine Menschenseele. Die Konzertbesucher waren alle nach vorn zum Orchester geeilt, um den weltberühmten Herrn Haydn am Klavier besser dirigieren sehen zu können. Das Konzert war eben erst zu Ende gegangen, und als Zugabe gab man den letzten Satz der Sinfonie "da capo". Als der Kronleuchter runtergekracht war, riefen alle nicht ohne eine gewisse Berechtigung, es sei ein Wunder, dass niemand verletzt worden sei. Weil man in London war, tat man das auf englisch und rief: "A Miracle!". Und so hat man später die an dem Abend uraufgeführte Sinfonie genannt. Hierzulande auch gern auf französisch: "Le Miracle".

…oder doch nicht…

Diese Geschichte ist sehr schön und wunderbar. Dummerweise ist in ihr gleich zweimal der Wurm drin.

Als nämlich Musikforscher der Sache nachgegangen sind, haben sie festgestellt, dass die "Mirakelsinfonie" gar nichts mit dem Kronleuchter zu tun haben kann. Diese Sinfonie - mit der Nummer 96 - ist nämlich in Wirklichkeit schon vier Jahre früher uraufgeführt worden. Und das auch nicht im "King's Theater", sondern in den Konzertsälen am Hanover Square. Die Sinfonie, die an dem Unglückstag im "King's Theatre" Premiere hatte, war die mit der Nummer 102. Ohne einen hübschen Beinamen. Die Sinfonienverwechslung ist ein rätselhafter Irrtum, den die Musikwelt nie korrigiert hat.

Dass der Kronleuchter runtergekracht war, stand natürlich anderntags in der Zeitung. Der "Morning Chronicle" berichtet über das Konzert des "unnachahmlichen Haydn", eine sehr wohlwollende Kritik, die sein Genie rühmt - und dann auch noch hinzufügt, daß die Wirkung von Haydns Musik nicht geringer wird, wenn währenddessen plötzlich ein schwerer Leuchter von der Decke fällt. Man sollte meinen, so was merkt man sich. Seltsamerweise erzählt uns Haydns Biograph Albert Christoph Dies genau das Gegenteil. Als er nämlich Jahre später den alten Haydn über diesen Vorfall befragen wollte, habe der geantwortet, von einem in London heruntergefallenen Kronleuchter wisse er über-haupt nichts. An so einen Vorfall könne er sich nicht erinnern. Und da steht unsereiner jetzt - und staunt. Musikgeschichte kann manchmal ziemlich verwirrend sein.


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