Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. April 1943 "Der kleine Prinz" wird in New York vorgestellt

Ein Kunstmärchen - und eines der poetischsten Plädoyers für Freundschaft und Menschlichkeit. Ersonnen und illustriert von einem schriftstellernden Berufspiloten. Autorin: Carola Zinner

Stand: 06.04.2018 | Archiv

06 April

Freitag, 06. April 2018

Autor(in): Carola Zinner

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

General de Gaulle hielt nur wenig von Antoine de Saint-Exupéry. "Dieser Offizier soll mal besser in Reserve bleiben!", befahl er. "Das einzige, was er kann, sind Kartenkunststücke!"  

Der französische Adelige liebte es, vom Balkon aus selbstgebastelte Papier-Hubschrauber fliegen zu lassen, er erfand eine Spezialrezeptur für Riesen-Seifenblasen und verschluckte auf Festen silberne Löffel, die sich später in den Taschen seines Publikums wiederfanden. Und: er konnte ganz wunderbar Geschichten erzählen, in denen es um die Gefahren der Wüste ging und ums Überleben unter extremsten Bedingungen. Seine Fans kannten diese Geschichten natürlich schon; sie hatten schließlich die Bücher gelesen, in denen er von seinen Abenteuern als Postpilot in Afrika und Südamerika erzählte. Allerdings munkelte man, dass Werke wie "Nachtflug" und "Wind, Sand und Sterne" nur deshalb zustande gekommen waren, weil Freunde ihren "Saint-Ex", wie sie ihn nannten, in sein Arbeitszimmer eingesperrt hatten - anders hätte er die Sache niemals bis zum Ende durchgehalten.

Der Riese und der Junge

Bei diesem, seinem neuesten Buch aber war alles anders. Saint-Exupéry, ein, wie ihn ein Zeitgenosse beschrieb, kahl werdender Riese mit den runden Augen eines hochfliegenden Vogels, hatte es wie im Rausch verfasst und auch gleich noch die Illustrationen dazu gezeichnet: Mit schräg gelegtem Kopf, die Zungenspitze zwischen den Lippen, brachte er das aufs Papier, was er schon seit Jahren auf Servietten, Speisekarten, Zettel jeder Art zeichnete: den "einsamen kleinen Kerl", wie er ihn nannte, mal auf einem Berg von Wolken, mal auf hohen Bergeswipfeln, mal mit einer Krone auf dem Kopf: ein schmaler Jungen mit langen Beinen, Stupsnase, weit auseinanderstehenden Augen und blondem Haarschopf. Eine dieser Zeichnungen hatte 1942 überhaupt erst den Anstoß gegeben für das Buch: ein Verleger hatte Saint-Ex in einem New Yorker Restaurant dabei beobachtet, wie er sein Lieblingsmotiv aufs Tischtuch kritzelte, und um eine passende Geschichte gebeten - möglichst bis Weihnachten, der besten Zeit für Kinderbücher. 

Es dauerte bis zum 6. April 1943, dann konnte das fertige Werk der Öffentlichkeit präsentiert werden. "Der kleine Prinz", die bittersüße Geschichte eines Jungen, der seinen Heimatplaneten verlassen hat und in der Wüste gelandet ist, wo er dem Ich-Erzähler begegnet und von seiner Reise erzählt.

Ein romantisches Kunstmärchen

Saint-Exupéry hat in diese Fabel alles hineingelegt, was ihn zu jener Zeit beschäftigte: seine Trauer um die verlorene Jugend, die Bedeutung von Freundschaft, Gedanken über Sinn und Unsinn von Arbeit - und sein Verhältnis zur Treue; ein Thema, an dem seine Ehe mit der kapriziösen Lateinamerikanerin Consuelo immer wieder zu scheitern drohte.

Er hatte eine einfache Sprache gefunden und wunderbare Bilder, um all das zu erzählen - doch ein Kinderbuch war das Ganze natürlich nicht. Konstatierten zumindest die amerikanischen Kritiker, die auch sonst wenig begeistert reagierten.

Heute gehört "Der kleine Prinz" nicht nur zu den meist gelesenen Büchern der Welt, es hält auch für immer die Erinnerung wach an seinen Verfasser - einen kahl werdenden Riesen, der es abgelehnt hat, jemals richtig erwachsen zu werden.


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