Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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15. November 1961 "Der Herr Karl" zum ersten Mal im Fernsehen

Wer lässt sich gerne den Spiegel vorhalten, wenn das, was er darin sieht – nun ja, nicht schön ist. Aber die Wahrheit. Nicht wenige ORF-Zuschauer protestierten entsprechend gegen die Sendung „Der Herr Karl“. Autorin: Brigitte Kohn

Stand: 15.11.2019 | Archiv

15 November

Freitag, 15. November 2019

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Der Herr Karl ist ein Wiener und so gemütlich und gesellig, wie man es sich von den Österreichern nicht anders erwartet. 1901 geboren, gehört er zu der Generation, die viel durchgemacht hat: das Ende des Habsburgerreiches, den Ersten Weltkrieg, Hitlers Einmarsch in Wien, den Zweiten Weltkrieg, die Nachkriegszeit. Der Herr Karl ist gut durchgekommen. Er gibt, das findet er jedenfalls selbst, ein gutes Beispiel für die Nachwelt ab, die er ungefragt und ununterbrochen monologisierend an seiner Lebenserfahrung teilhaben lässt.

Bescheiden, genussreich

Wir treffen Herrn Karl im Jahre 1961, im Keller einer Delikatessenhandlung, bei seiner Arbeit als Magazineur. Sein Leben sei bescheiden gewesen, aber genussreich, sagt er, und immer sei das Herz dabei gewesen, ein kleines bisserl das Herz dabei gewesen. Ohne das geht ja gar nichts in Österreich. Herrn Karl gibt es nicht wirklich, Herr Karl ist eine Bühnenfigur. Helmut Qualtinger, Österreichs berühmtester Satiriker, hat ihn für das ORF erfunden und verkörpert ihn zum ersten Mal in einer Fernsehausstrahlung am 15. November 1961. Tage später schleppen die Briefträger waschkörbeweise Protestbriefe zum Sender. Todesdrohungen sind darunter, wüste Beschimpfungen: Nestbeschmutzer! Pfui Teufel!

Der Zuschauer wehrt sich

Qualtinger hält den Nachkriegsösterreichern einen Spiegel vor, in dem sie sich nicht erkennen wollen. Herr Karl hat Hängebacken, ein Doppelkinn, braune Dackelaugen und ein Oberlippenbärtchen, ein bisschen buschiger als das von Hitler. Von Schuld und Versagen will er nichts wissen. Manchmal greift er ins Regal und schenkt sich einen Cognac ein. Merkt eh kaaner! Man lebt ja jetzt im Überfluss, die harten Zeiten sind vorbei.

Herr Karl hat sie alle überstanden, und das im Großen und Ganzen recht komfortabel. Mehr hat er nie gewollt. Erst war er Sozialist gewesen, dann ein kleiner Nazi, der mitgemacht hat bei der Hatz auf die Juden. Nach Kriegsende hat er sich dann mit den Besatzern problemlos arrangiert. Nur nachts, da träumt er vom Ertrinken, immer und immer wieder. Das Leben macht ihm Angst. Die Wendehals-Mentalität, die er verkörpert, wird aus dem Mangel an Lebendigkeit geboren.

Doch was soll‘s: A bisserl a Geld und den einen oder anderen Posten hat‘s unter jeder Flagge gegeben, und irgendwie hat er immer rechtzeitig gemerkt, in welche Richtung er gerade fließt, der Strom der Zeit. Schmäh hat er gehabt, der Herr Karl, Mandoline hat er spielen können, an der Donau gab es Madln und Gebüsch, und eine reiche Wirtin für eine lukrative Heirat hat sich auch eingefunden, zumindest für ein paar Jahre.

Politik und Erotik, beide Bereiche sucht Herr Karl lebenslang nach Vorteilen ab und nach sonst nichts. Unter seiner leutseligen Oberfläche glimmt etwas Böses, er ist die perfekte Verkörperung des Wiener Dämons der Gemütlichkeit, und das ist es, was die österreichischen Bürger seinerzeit so auf die Palme gebracht hat. Wobei die Presserezensionen nach der Fernsehausstrahlung übrigens sehr positiv ausgefallen sind. Opportunisten wie Herrn Karl gäb‘s überall, so konnte man in den Tageszeitungen lesen, aber nur in Österreich sei es gelungen, sie so überzeugend zu entlarven.


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