Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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14. Januar 1896 Der Bambi-Autor Felix Salten ohrfeigt Karl Kraus im Café Griensteidl

Literatur- und Kulturkritiker sind selten beliebt bei ihren Opfern. Daher fing sich Karl Kraus im Café Griensteidl vom "Bambi"-Autor Felix Salten zwei kräftige Watschen ein. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 14.01.2021 | Archiv

14 Januar

Donnerstag, 14. Januar 2021

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Dass der sich her traut! Ausgerechnet der! Und wie er da sitzt mit sei'm Rasiermessergrinsen im Spitzgesicht. Der weiß genau, wie ringsum die Kinnladen malmen, wie die Mägen wallen und die Halsadern zornig klopfen. Doch dem schmeckt das, der saugt die Wut wie Weihrauch auf und tut, als ob nichts wär.

Der giftige Kritiker

Aber es ist was! Und wie was ist! Dieser Karl Kraus ist ein Spei- und Spottvogel, wie es keinen zweiten gibt in Wien. Grad einmal 22 ist das Bürscherl, studiert ein bisserl, dilettiert am Theater, schreibt da und dort Artikel und hält sich für den Satiregott selbst. In der Rundschau treibt er's besonders arg. Da schießt er schon seit Wochen gegen das Junge Wien, einen Kreis knospender Genies voller Lorbeer- und Blütenträume, die im Café Griensteidl die Umwälzung der Kunst, des Lebens und der Liebe herbei-debattieren.

Einen nach dem andern hat er sich herausgepickt und als Stimmungspinsler, Empfindungstüftler, Sprachverhunzer, Syntaxschänder, Talentvortäuscher verhöhnt. Da gibt’s kein Pardon. Schnitzler, Hofmannsthal, Bahr und Altenberg, jeder hat sein Fett abbekommen, die ganze Stadt lacht sich scheckert über die Olympiertruppe vom Café Größenwahn und feiert den kleinen Karl Kraus.

Und genau der sitzt jetzt, am 14. Jänner 1896, mitten unter ihnen, in ihrem Kaffeehaus, in ihrem Griensteidl! Hockt seelenruhig da und schlürft die Lust des Henkers an der Hinrichtung. Weil aber der Kraus so tut, als wär nichts, tun auch die anwesenden Jung Wiener so, deuten höchstens mit den Augen dahin, wo die Giftwurzn allein an einem Seitentisch schreibt. Dabei würde ihm jeder liebend gern den Hals umdrehen oder wenigstens ein paar extra saftige Früchte vom Watschenbaum pflücken.

Einer für alle

Bloß gut, dass wenigstens der Felix Salten nicht da ist. Den hat der Kraus erst neulich grauslich g'rupft. Richtig bös.

Wobei, unter uns gesagt, dass der Salten zwar vieler Sentimentalitäten, jedoch keines geraden Satzes mächtig ist, ganz verkehrt ist das nicht. Oder dass ihm die Verwechslung des Dativs mit dem Akkusativ noch immer mit unverminderter Jugendfrische gelingt, bitte, das ist gemein, ja, aber nicht wirklich gelogen und brillant formuliert.

Dann wird es auf einmal muxmäuserlstad im Café. Alle Augen kleben am Eingang, wo der Geschmähte eben den Türvorhang hebt, in die Runde grüßt, Hände schüttelt und plötzlich stutzt. Salten macht einen Schritt, erkennt den Feind, steht starr wie Vorstehhund, spürt tief in seinem Magen den Groll wie einen reifen Furunkel platzen, zieht den Kopf ein, springt auf seinen Peiniger zu, stupst ihn vor die Brust, spritzt und sprüht wüste Beleidigungen. Der völlig überrumpelte Kraus drückt sich in die Stuhllehne, da hat Salten schon ausgeholt, als wollte er Thors Hammer aus Walhall herbeischaffen und klatscht dem Verdutzen zwei Mordswatschen ins kurzsichtig hingestreckte Gesicht, dass beide Backen noch stundenlang fünffingrig nachglühen.

Anderntags schreibt Schnitzler in sein Tagebuch: "Gestern Abend hat Salten im Kaffeehaus den kleinen Kraus geohrfeigt, was allseitig freudig begrüßt wurde." 

Na alstern: Fiebat iustitia!


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