Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. März 1979 DDR-Geheimdienstchef Markus Wolf wird enttarnt

Jahrelang war Markus Wolf, der DDR-Geheimdienstchef, für den BND der Mann "ohne Gesicht". Seine Enttarnung 1979 verdankt sich auch Wolfs Eitelkeit. Autorin: Hartmut E. Lange

Stand: 05.03.2021 | Archiv

05 März

Freitag, 05. März 2021

Autor(in): Harmut E. Lange

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Seine Gegner sitzen in Pullach, und sie hassen ihn, spätestens seit der Sache mit Guillaume. Doch einige reden auch voller Ehrfurcht über ihn; einen DDR-Spion ins Kanzleramt einschleusen, an die Seite von Willy Brandt – das muss man erst mal hinkriegen - alle Achtung!

Seinen Namen kennt man, aber wie er aussieht weiß keiner. Der Mann ohne Gesicht wird er genannt, oder Phantom aus der Normannenstraße. Dass der Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit Markus Wolf heißt, sein Bruder der DEFA-Regisseur Konrad Wolf ist, und sein Vater der Schriftsteller Friedrich Wolf, ist bekannt. Aber sein Gesicht? Ein großes Fragezeichen.

In seiner BND-Akte klebt ein Jugendfoto aus der Zeit in Moskau, wohin die Familie vor den Nazis geflohen war. Die Gesichtslosigkeit hätte vielleicht noch ewig gehalten, wenn da nicht diese unangenehme Eigenschaft wäre, die Menschen in hohen Positionen oft an sich haben. Katholiken zählen sie zu den sieben Todsünden – die Eitelkeit!

Der falsche Doktor

Es ist nicht der schlaue Fuchs, eher der eitle Gockel, auf den der schwedische Geheimdienst aufmerksam wird, als im Sommer 1978 ein DDR-Bürger ins Königreich einreist. Für einen Kurt Werner hätte man sich wahrscheinlich niemals interessiert, aber hinter Dr. Kurt Werner vermutet man eine wichtige Figur des Arbeiter- und Bauernstaates. Vielleicht ein Wissenschaftler, der als Industriespion unterwegs ist? Um das herauszufinden heftet man sich an seine Fersen, fotografiert ihn unauffällig.

Der Deckname Kurt Werner war Markus Wolf offenbar zu gewöhnlich, ein Doktortitel sollte es schon sein. Die Schlapphut-Kollegen in Bayern haben schallend gelacht über diesen Anfängerfehler: Unauffälligkeit ist eine der wichtigsten Grundregeln im 007-Geschäft, dagegen hat Wolf mit dem selbst verliehenen Doktor-Titel in dilettantischer Weise verstoßen.

Wenige Monate später setzt sich ein hochrangiger DDR-Offizier in den Westen ab. Oberleutnant Stiller hat in Ost-Berlin nicht nur für die Stasi gearbeitet, auch für den BND – ein Doppelagent. Als man ihm die Fotos des unbekannten Stockholm-Besuchers vorlegt, bestätigt er ohne Zögern: Ja, das ist mein ehemaliger Chef, Generaloberst Markus Wolf. 

SPIEGEL-Leser wissen mehr

Der BND lanciert die Erkenntnis samt Foto an den SPIEGEL. Am 5. März 1979 präsentiert das Magazin auf der Titelseite einen schlanken Mittfünfziger in dunklem Anzug und typischem Agenten-Accessoire, eine Sonnenbrille ziert das kantige Gesicht. Wolf schaut knapp an der Kamera vorbei, hat also nicht bemerkt, dass er observiert wird. Über dem Foto steht in leuchtend gelben Lettern: DDR-Geheimdienstchef enttarnt

Mit der Reisefreiheit, die der stellvertretende Minister für Staatssicherheit im Gegensatz zu seinen Landsleuten genießt, ist es vorbei. Jetzt kennt  man sein Gesicht, an allen Grenzübergängen prangt das Foto auf den Fahndungslisten, und zwar ganz oben. Der mehrtägige Schweden-Trip war übrigens vorwiegend privater Natur, abgesehen von einem kurzen Treffen mit einem Stasi-Zuträger aus Bayern. Wolf machte mit seiner dritten Ehefrau eine Sightseeing-Tour, kaufte Teile für die Wohnungseinrichtung und wollte der frisch Angetrauten offenbar die Verruchtheit der westlichen Welt vorführen - sie besuchten ein Sex-Kino.


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