Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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11.04.1929 Das Kino Babylon wird in Berlin eröffnet

Das "Babylon“: Ein Lichtspielpalast für 1200 Zuschauer, einst auch geheimer Treffpunkt für den Widerstand gegen die Nazis, heute Austragungsort der Berlinale. Autorin: Isabella Arcucci

Stand: 11.04.2018 | Archiv

11 April

Mittwoch, 11. April 2018

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

"Kolosseum", "Luxor", "Alhambra"…. Und nun auch noch: "Babylon"!

Die Rede ist nicht  von historischen Stätten, sondern von Kinos. In der harten Wirtschaftsrezession der 20er Jahre boten diese Filmpaläste mit den pompös exotischen Namen die Flucht in eine Traumwelt. Über 5000 Kinos gab es damals in Deutschland! Das "Babylon" hätte es da eigentlich nicht auch noch gebraucht. Denn rund um die Gegend vom Bülowplatz, dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz im Berliner Scheunenviertel, knubbelten sich bereits die Lichtspieltheater und wetteiferten mit blinkender Leuchtreklame, riesigen Plakaten mit schmachtenden Schönheiten darauf und duftenden Karamellen um die Gunst des Publikums.

Geheimer Widerstand zwischen Flitter und Filmrollen

Trotzdem wurde das "Babylon" am 11. April 1929 am Bülowplatz feierlich eröffnet. Die Presse war hingerissen von den schmuck livrierten Einlassdienern und den samtenen Sesseln und Logen. Hinter dem schweren Vorhang verbarg sich nicht nur eine enorme Kinoleinwand, sondern auch eine Bühne mit Orchestergraben, auf der man Live-Varieté-Vorstellungen bestaunen konnte. Das "Babylon" war eine Welt des schönen Scheins, in der nichts echt war doch alles verführerisch. Auch als bereits die Nazis die Macht ergriffen hatten und immer häufiger Propagandafilme über die Leinwände flackerten, blieben die Kinos eine Ablenkung von den Sorgen des Alltags. Im "Babylon" war es der Filmvorführer Rudolf Lunau, der, versteckt in seiner schummrigen Kabine, diese kleinen Fluchten ermöglichte. Was niemand der gebannten Zuschauer ahnte: Lunau wollte nicht vor der Realität flüchten, sondern sie bekämpfen. Er war Teil des kommunistischen Widerstands gegen die Nazis. Im Keller des "Babylon" druckten Lunau und seine Genossen heimlich antifaschistische Flugblätter. Und nachts, wenn die letzte Vorstellung vorbei war, quetschten sich vier Personen in den schmalen Raum zwischen Vorhang und Leinwand, der ihnen als Schlafzimmer diente: Rudolf Lunau, sein Bruder Hans und zwei jüdische Mitgenossen, die sich im "Babylon" versteckt hielten.

Von alten Zeiten und Plastikblumen

1934 flog die Gruppe auf. Rudolf Lunau wurde verhaftet, kam ins Zuchthaus und wurde 1943 zum Kriegsdienst ins Strafbataillon eingezogen. Er kam nie wieder zurück. Das "Babylon" aber blieb. Es wurde zum Spartenkino der DDR und nach der Wende zum anspruchsvollen Programmkino umfunktioniert. Und auch Rudolf Lunaus Bruder Hans überlebte alle Stürme der Geschichte. Im Jahr 1990 schrieb er einen Leserbrief an eine Zeitung, worin er sich an die Jahre des kommunistischen Widerstands im "Babylon" erinnerte, an die Zeiten, als sie zwischen Filmrollen und Varietéflitter den Sturz der Nazis planten. Und er erinnerte sich daran, wie viel sie gemeinsam lachten. Vor allem dann, wenn Rudolf einer der aufgeplusterten Varieté-Diven während des Applaus den obligatorischen Blumenstrauß überreichte, an welchem diese pathetisch schnupperte, um ihn dann, mit großer Geste, an ihren wogenden Busen zu drücken. Es war jedes Mal derselbe olle Plastikstrauß. Genauso künstlich und irreal wie fast alles im Kino "Babylon".


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