Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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14. Dezember 1928 D. H. Lawrence veröffentlicht "Lady Chatterley's Lover"

Ein Buch, in dem Sexualität detailliert und explizit geschildert wird - ist das Pornographie?" Lady Chatterley's Lover" gilt als eines der ersten seriösen Werke der Weltliteratur hinsichtlich der Darstellung von körperlicher Liebe. Autorin: Brigitte Kohn

Stand: 14.12.2020 | Archiv

14 Dezember

Montag, 14. Dezember 2020

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Als es noch kein Internet gab, griffen Menschen, die mehr über Sex erfahren wollten, auch mal zur Weltliteratur. Denn es gibt einige namhafte Autoren, die die körperliche Liebe aus dem Bereich des Unsagbaren befreit und den Beweis erbracht haben, dass Liebeslust und Sprachlust keineswegs getrennten Welten angehören, ebenso wenig wie Körper und Geist allgemein.

Sir John und Lady Jane

Dieser Meinung war auch D. H. Lawrence, der Autor des Romans „Lady Chatterley“. Wegen des brisanten Inhalts ließ er das Buch auf eigene Kosten in Florenz drucken und verschickte die Exemplare an ausgewählte Leser und Buchhändler in aller Welt. Als der Text am 14. Dezember 1928 in England auf den Markt kam, wurde er sofort verboten. Aufgehoben wurde die Zensur erst 1960, 30 Jahre nach dem Tod des Autors.

Der Stein des Anstoßes war folgender: Wenn Lady Chatterley und ihr Waldhüter sich körperlich lieben, sind die Leser mitten im Geschehen, D. H. Lawrence verschweigt ihnen nichts. Auch die Namen nicht, die die Liebenden ihren hochgeschätzten Geschlechtsteilen geben: Sir John Thomas und Lady Jane. Wobei die ganz große literarische Bühne eher für Sir John Thomas bereitet wird, weniger für Lady Jane. Bei Feministinnen stößt das auf Kritik, sie finden den Roman phallozentrisch.

Mit Blick auf die beiden Männer in Lady Chatterleys Leben scheint dieser Einwand berechtigt. Ihr aristokratischer Gatte ist querschnittsgelähmt, Folge einer Kriegsverletzung. Sexuell ist er zu nichts mehr in der Lage, an dieser fragwürdigen Einstellung hält der Roman unerschütterlich fest. Lady Chatterley stünde ein dauerfrustriertes Dasein bevor, gäbe es diesen kerngesunden Waldhüter in seiner Waldhütte nicht, dessen Gemächt ebenso in Saft und Kraft steht wie die vielen Bäume und Blumen um ihn herum. Dieser Waldhüter mag zwar keine Küsse auf den Mund und kommt immer ziemlich schnell zur Sache; trotzdem gilt er als Vollbluterotiker. Da treten der Leserin doch Fragezeichen in die Augen.

Beseelte Erotik

Aber der Roman erstarrt nicht in seinen Klischees. Lady Chatterley und ihr Gatte scheitern nicht nur an der Lähmung, sondern vor allem am Standesdünkel und am verkrüppelten Gefühlsleben des Kriegstraumatisierten. Der Waldhüter ist nicht nur potent, sondern seiner Geliebten in seiner Kritik an Industrialisierung, Kapitalismus, sozialer Ungerechtigkeit und Kriegstreiberei auch menschlich eng verbunden.

Die beiden Ehebrecher lassen sich vom Terror der sozialen Norm nicht unterkriegen. Zum Schluss ist Lady Chatterley schwanger und arbeitet zusammen mit dem Waldhüter an einer gemeinsamen Zukunft.

Sexualität ist für Lawrence kein Spiel, sie zielt auf Bindung. Sie ist weder Erlösung noch Tragödie, sondern eine Möglichkeit für Menschen, ihre Lebendigkeit und Liebesfähigkeit zu behaupten in einer Welt, die immer mehr zur Abstraktion und Mechanisierung, mithin zur Verzweiflung treibt. Das ist alles andere als pornographisch. Pornographie ist eindimensional und seelenlos, dieser Roman ist es nicht und hat seinen Ruf als großer Klassiker der erotischen Literatur wirklich verdient.


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