Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. Februar 2859 Codex Sinaiticus entdeckt

Wer suchet, der findet, manchmal auch absichtlich zufällig. Am 7. Februar 1859 entdeckte ein junger Theologe die bislang älteste komplette Handschrift des Neuen Testaments, den sogenannten Codex Sinaiticus. Autor: Christian Feldmann

Stand: 07.02.2018 | Archiv

07 Februar

Mittwoch, 07. Februar 2018

Autor(in): Christian Feldmann

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Eigentlich sollte er sich sein Brot als Privatdozent für biblische Paläographie verdienen, der Leipziger Theologe Lobegott Friedrich Konstantin von Tischendorf. Aber daheim an der Universität war er selten zu finden, der umtriebige Lobegott, lieber unternahm er ausgedehnte Forschungsreisen in den Nahen Osten. 1844, er war gerade mal 29 Jahre alt, trieb es ihn auf die Halbinsel Sinai. Der erfahrene Kenner alter biblischer Handschriften war sicher, im Katharinenkloster irgendwelche Kostbarkeiten zu finden. Die Mönchsniederlassung war immerhin schon 550 vom byzantinischen Kaiser Justinian errichtet worden, kurz darauf unter arabische Herrschaft gelangt, aber niemals zerstört oder verlassen worden. Sie barg zahllose Ikonen und Handschriften.

Abfallpapier

Hier also stöberte und wühlte Tischendorf tagelang herum - und entdeckte schließlich in der dunkelsten Ecke einer Abstellkammer einen verstaubten Bastpapierkorb und darin 129 gut erhaltene Pergamentblätter. Der Text war gestochen scharf in großen Buchstaben auf vier Kolumnen pro Seite angeordnet und enthielt, wie sich bald herausstellte, Teile der hebräischen Bibel in einer griechischen Übersetzung; aus dem vierten Jahrhundert, vermutlich aus Alexandria. Ach ja, zwei weitere Körbe mit solchem Abfallpapier habe man kürzlich verbrannt, erzählte man dem entsetzten Gelehrten - und erlaubte ihm, einige Blätter nach Leipzig mitzunehmen.

Komplett

Neun Jahre später reiste Tischendorf erneut zum Sinai-Kloster - und identifizierte ein dort achtlos als Lesezeichen benutztes Pergamentblatt als weiteres Juwel aus der Bibelhandschrift; ansonsten hielten sich die misstrauischen Mönche bedeckt. Bald kam er zum dritten Mal, diesmal mit einem Empfehlungsbrief des russischen Zaren Alexander II. Er fachsimpelte mit dem Klosterverwalter, der am 7. Februar 1859 aus seiner Zelle stolz eine in rotes Tuch eingewickelte Handschrift holte. Tischendorf las die ganze Nacht wie ein Besessener; am Morgen hatte er Klarheit:

Die 347 Blätter enthielten nicht nur die damals 1844 zurückgelassenen Teile des Alten Testaments, sondern dazu das komplette Neue Testament und damit dessen älteste vollständige Ausgabe; noch älter ist nur der sogenannte Codex Vaticanus, aber der ist eben nicht komplett.

Diese Kostbarkeit wollten die gewitzten Mönche dem Deutschen nun nicht so einfach überlassen. Höchstens abschreiben durfte er sie. In Kairo fand Tischendorf zwei wackere Landsleute, einen Buchhändler und einen Apotheker: Schnelle Beduinenboten holten die Handschrift vom Sinai, und die drei Idealisten schrieben wie verrückt ganze Nächte lang. In zwei Monaten schafften sie 110.000 Textzeilen.

Erst als der Zar dem Kloster einen Silberschrein und 7.000 Rubel für die Bibliothek schenkte, erst dann überließen die Mönche ihren Schatz dem Zaren, der die Handschrift in einer Prachtausgabe drucken ließ. Mit eigens gegossenen Lettern. Juristisch ist das Geschäft bis heute umstritten.

1933 verkaufte Stalin den Codex Sinaiticus an das Britische Museum in London, für 100.000 Pfund - über zwei Millionen Reichsmark -, um den zweiten Fünfjahresplan der sowjetischen Wirtschaft zu finanzieren. 2009 wurde der von drei Forscherteams digitalisierte Codex ins Internet gestellt.


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