Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. September 44 v. Chr. Cicero beschimpft Marc Anton als "Lüstling"

Im Alten Rom ging es hoch her. Wenn die Senatoren debattierten, flogen nicht selten die Fetzen. Wüste Beschimpfungen wurden ausgetauscht, bisweilen rollten sogar Köpfe. Auch berühmte Namen wie Cicero bildeten da keine Ausnahme. Von ihm musste nicht nur Marc Anton einstecken. Autor: Thomas Grasberger

Stand: 02.09.2022 | Archiv

02 September

Freitag, 02. September 2022

Autor(in): Thomas Grasberger

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Nun war früher beileibe nicht alles besser, aber manches doch lebhafter. Parlamentsdebatten zum Beispiel. 47 Ordnungsrufe gab es im deutschen Bundestag zwischen 2017 und 2021. Verglichen mit den 1980er Jahren war das harmlos. In den Anfangszeiten von Joschka Fischer und den Grünen musste der Bundestagspräsident nämlich 132 Mal zur Ordnung rufen. Doch selbst das wirkt fast noch harmonisch, wenn man es mit den Zuständen in davorliegenden Jahrzehnten vergleicht. Der Abgeordnete Herbert Wehner zum Beispiel war berüchtigt für seine Schimpftiraden vor der Volksvertretung. Bis heute gilt der streitbare Sozialdemokrat mit der Pfeife als Rekordhalter - auf 57, manche sagen 58 Ordnungsrufe hat es der gebürtige Dresdner im Laufe seiner Bundestagsjahre gebracht.

Immer feste drauf

Und auch sonst war der SPD-Fraktionsvorsitzende nie zimperlich. Einem Parteifreund, dessen Nachname mit Z begann und der sich stets beklagte, dass Z im Plenum immer hinten sitzen müsse, empfahl der knorrige Wehner, er möge sich halt in "Genosse Arschloch" umbenennen lassen, wenn er weiter vorne sitzen wolle. So weit bekannt, erfolgte keine Namensänderung.
Fest steht aber, dass auch Wehner nur ein Waisenknabe war, verglichen mit den Senatoren im Alten Rom.

Oh Rom!

Übelste Schmähreden, obszöne Witze, grobe Beleidigungen und ordinäre Verunglimpfungen des politischen Gegners gehörten seinerzeit quasi zum guten Ton bei Senatoren. Auch sexuelle Anspielungen und Diffamierungen waren keine Tabus.

Beispiele ersparen wir uns an dieser Stelle, ein Hinweis muss reichen: Am 2. September 44 v. Chr. beschimpfte ein gewisser Marcus Tullius Cicero, einschlägig bekannt aus allen Latein-Lehrbüchern, seinen politischen Erzfeind Marcus Antonius - als "Lüstling"! Ho ho! Heute schier undenkbar, in unseren zartbesaiteten Zeiten. Allein die Endung "-ling" wäre wohl schon zu abwertend. "Lüstender" müsste es vermutlich heißen. Oder "Gelüsteter"? Na ja, wie auch immer.

Der Politiker, Anwalt und Philosoph Cicero war da viel weniger empfindlich. Er teilte aus, was das Zeug hielt. Aber nicht nur rhetorisch waren es wilde Zeiten. Nur ein halbes Jahr vor Ciceros berüchtigten Philippischen Reden war der Diktator Gaius Julius Cäsar ermordet worden. In den politisch unruhigen Folgemonaten waren verschiedene Machtzentren entstanden, die um die Nachfolge buhlten. Neben Marc Anton war da noch Octavian, Cäsars Großneffe und Haupterbe. Und auch die Altrepublikaner um Cicero machten sich wieder politische Hoffnungen.

Der wortgewaltige Schriftsteller erklärte Marc Anton zum Staatsfeind Nummer eins, unterschätzte dabei aber Octavian, der schließlich das Rennen machte und unter dem Namen Augustus erster römischer Kaiser wurde. Cicero aber bezahlte seinen Fehler mit dem Leben. Er stand bald auf der Todesliste seiner Gegner, musste fliehen und wurde schließlich ermordet. Diverse Körperteile des Philosophen ließ man dann in die Hauptstadt zurückbringen und auf einer Rednerbühne präsentieren. Neben dem Kopf auch Ciceros Hände, die dem größten Rhetor Roms stets dazu gedient hatten, seine Worte gestenreich und lebhaft zu untermalen. Ach ja, früher ... Dann vielleicht doch lieber langweilige Parlamentsdebatten.


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