Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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18. Dezember 1994 Chauvet-Höhle mit 30.000 Jahre alten Höhlenmalereien entdeckt

1994 stellt eine Entdeckung das Wissen über die Geschichte menschlichen Kunstschaffens auf den Kopf. Forscher entdecken in einer Höhle über 30.000 Jahre alte Bilder, dynamisch wie ein Zeichentrickfilm. Autorin: Christiane Neukirch

Stand: 18.12.2020 | Archiv

18 Dezember

Freitag, 18. Dezember 2020

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Wer eine Kathedrale betritt, weiß, was ihn erwartet. Wer eine Höhle betritt, nicht.

In der Kathedrale kann man mit Größe rechnen, mit Säulen, Bildern, Erhabenheit. In der Höhle? Eher mit Dunkelheit, Ungewissheit, manchmal mit Fledermäusen, mit viel Glück: Tropfstein. Doch ab und zu, mit sehr viel Glück, werden Höhlenforscher unverhofft zu Kathedralen-Besuchern. So ging es am 18. Dezember 1994 den drei französischen Speläologen - also Höhlenforschern - Jean-Marie Chauvet, Eliette Brunel und Christian Hillaire.

Uralte Kunst

In der Nähe der südfranzösischen Stadt Vallon-Pont-d’Arc haben die Kräfte der Natur eine Märchenlandschaft in Stein gemeißelt – und das nicht nur an der Erdoberfläche. Die bewaldeten Hügel um das Flusstal sind von Höhlen durchzogen. Eine davon wäre vielleicht nie aufgefallen; doch ein Luftzug zwischen Felsen verriet den drei Entdeckern, dass dahinter ein Hohlraum sein musste.

Was sie in den finsteren Felsgängen entdeckten, übertraf alle Forscherträume: Bilder, gemalt vor mehr als 30.000 Jahren – die ältesten bis dahin bekannten Kunstwerke überhaupt. Die Gemälde muten an wie eine Arche Noah der Steinzeit: Wildpferde, Wollnashörner, Höhlenlöwen, Mammuts, Bären, Rentiere, Bisons und Panther patrouillieren über die Felswände; und eine Schnee-Eule hält Wache. Nicht einzelne Tiere sind es, sondern eine sorgsam inszenierte Choreografie, eine Bildkomposition, dreidimensional und dynamisch: Die Tiere sind in Bewegung, werfen die Beine im Lauf, neigen und strecken die Köpfe, huschen über die steinerne Leinwand wie in einem Zeichentrickfilm. Die ausgefeilte Maltechnik, eine Wischtechnik mit Kohle, macht Schatten und Rundungen der Tierkörper sichtbar – und nicht nur das: die Künstler haben die Formen der Felsen mit hineingearbeitet, so wirkt vieles wie in 3D. Das alles wurde geschaffen im schwachen Schein von Fackeln oder Feuer, deren Beleuchtung man als Effekt mit nutzte. Dazu die Höhle selbst, der lange Gang, die Ornamente aus Tropfstein: prächtiger könnte eine Kathedrale nicht sein.

Auch dieser Höhlendom diente sehr wahrscheinlich spirituellen Zwecken; man vermutet sogar, dass dort gewissermaßen Kirchenmusik gemacht wurde: man fand Reste von Instrumenten.

Auf Augenhöhe

Die Chauvet-Höhle, wie sie heute heißt, ist nicht die einzige, in der solche Zeugnisse gefunden wurden, andere bekannte Beispiele sind die Höhle von Lascaux oder die von Altamira. Doch die Bilder der Chauvet-Höhle sind bis zu 15.000 Jahre älter. Dass sie so gut erhalten sind, verdanken sie der Tatsache, dass der Eingang vor 22.000 Jahren durch einen Felsrutsch verschüttet wurde und so das Werk der prähistorischen Künstler abgeschottet blieb.

Oder waren es Künstlerinnen? Forscher aus Liverpool untersuchten die farbigen Handabdrücke an den Wänden und fanden heraus: etliche von ihnen stammen von Frauenhänden. Lebten unsere frühen Vorfahren in einer Gesellschaft der Gleichberechtigung, auf Augenhöhe mit Mitmensch und Umwelt? Nicht nur die Qualität ihrer Bilder, sondern auch die Weltsicht, die daraus spricht, lässt vermuten: unsere frühen Vorfahren können uns noch vieles lehren. Über die Kunst wie über das Leben.


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