Bayern 2 - Das Kalenderblatt


0

11. Juli 1863 Biertransport per Eisenbahn

Werbung wäre wesentlich, denkt sich der Nürnberger Brauer Christian Lederer. Weil er es auf die Zielgruppe der Jungen, Innovativen, Technikinteressierten abgesehen hat und zudem die Lieferzeit seiner Bierfässer verkürzen kann, setzt er alles dran, auf das Transportmittel Zug aufzusteigen. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 11.07.2022 | Archiv

11 Juli

Montag, 11. Juli 2022

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

O Eisenbahn, du Donnerwort! Wer zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein hippes Image braucht, setzt auf Schienen und Dampf, auf stampfende Kolben und Kurbelräder. Die Eisenbahn ist der Inbegriff des technischen Fortschritts, die Innovations- und Kraftmetapher schlechthin. Im Dezember 1835 ist die stählerne Zeit auch in Bayern angebrochen. Die erste deutsche Dampfstrecke zwischen Nürnberg und Fürth ist auf Anhieb ein Kassenschlager. Obendrein lockt sie zigtausend Schaulustige an, die das Hightech-Wunder mit eigenen Augen sehen, hören, riechen und bestaunen wollen.

Mit Dampf und Getöse

Der Massenzulauf bringt den Nürnberger Brauer Christian Lederer auf eine Idee: Wenn er seine Banzn via Bahn befördert und die ganze Welt schaut zu, also mehr Reklame wär schon fast unanständig! Doch das Bahndirektorium winkt ab. Nix da! Die Strecke ist nur für den Personenverkehr ausgelegt, es gibt weder Frachtwagons noch Personal und eine amtliche Erlaubnis, die gibt es schon gar nicht. Zum Glück macht sich der stellvertretende Bahndirektor Johann Scharrer für Lederer stark. Und wen wundert's? Scharrer ist der Stiefschwiegervater des Braumeisters und als ehemaliger Hopfenhändler selbst vom Fach. Was die beiden aber vor allem eint, ist ein gemeinsames Interesse: Lederer will sein Bier promoten, Scharrer die Eisenbahn für den Güterverkehr öffnen.

Bier und Bahn

Am 11. Juli 1836 sind endlich alle Bremsen gelöst. An diesem Montag unterzeichnet Scharrer einen Vertrag, der Bier- und Eisenbahngeschichte schreibt:
"Dem Brauer Lederer wird gestattet, mit dem ersten nach Fürth gehenden Wagen zwei Fässchen Bier an den Wirt zur Eisenbahn zu senden". Soweit das Dokument. Aber wie und wann der historische Transport tatsächlich stattfindet, ist nicht bekannt. Überliefert ist allein die unverwüstliche Legende von zwei Bierfässern, die als erste Bahnfracht Bayerns eine neue Ära einläuten. Unter gestandenen Lederer-Fans gilt es außerdem als ausgemacht, dass zwei Banzn des Nürnberger Werbepioniers nicht irgendwann, sondern schon bei der Erstfahrt des berühmten "Adler" sanft auf dem Tender hinter der Lok mitschaukeln.

Nichts davon stimmt. In Wirklichkeit werden die Fässer auf den Vordersitzen eines Personencoupés dritter Klasse transportiert. Mit dem "Adler" ist es auch nicht weit her. Der kommt, um die teure Kohle zu sparen, nur während der Mittagsfahrten zum Einsatz. Die Wagen der ersten Frachtfahrt werden ganz profan von einem Ackergaul gezogen.

Trotzdem geht die Rechnung auf. Der ausgefuchste Braumeister setzt die Denkwürdigkeit auf Bierdeckeln, Bierfilzen, Bierkrügen gekonnt in Szene und lässt die Grenzen zwischen Wahrheit und Werbung zu Gunsten der guten Geschichte verschwimmen. Auch den Nürnberger Brauern muss keiner extra erklären, was die Stunde geschlagen hat: Ab der Jahrhundertmitte scheffeln sie schweres Geld mit via Schiene expediertem Gerstensaft. Fortan gehören Bahn und Bier zusammen und auf Jahrzehnte hinaus haben bayerische Brauereien bei der Eroberung in- und ausländischer Absatzmärkte die Nase vorn. Irgendwie Laptop und Lederhose halt. Damals wie heute.


0