Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. August 1888 Bertha Benz fährt nach Pforzheim

Frauen gehören nicht ans Steuer? Das sah Bertha Benz, die Frau des Erfinders Carl Benz, aber anders! Am 5. August 1888 büxte sie heimlich mit dem Motorwagen ihres Mannes aus und unternahm die erste längere Autofahrt der Weltgeschichte. Damit gelang es ihr, die Vorbehalte der Kunden gegen das Fahrzeug zu zerstreuen. Autorin: Isabella Arcucci

Stand: 05.08.2022 | Archiv

05 August

Freitag, 05. August 2022

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

"Mann" kann es nicht oft genug sagen: Frauen gehören nicht ans Steuer! Schon gar nicht, wenn sie so klein sind wie Bertha Benz und kaum übers Lenkrad gucken können.

Ein geheimer Roadtrip

Bertha wartet deshalb erst gar nicht auf die Erlaubnis ihres Mannes. Ihr Carl schnarcht noch im Bett, als sie sich frühmorgens mit ihren Söhnen, dem 15-jährigen Eugen und dem 13-jährigen Richard, aus dem Haus schleicht. Die drei wollen eine Spritztour machen, von Mannheim nach Pforzheim. Es ist der 5. August 1888. Autos gibt es noch gar nicht. Nur in der Werkstatt von Carl Benz, da steht er: der Motorwagen, das erste Automobil der Welt. Aber niemand interessiert sich dafür. Mehr noch, die Behörden haben Carl ein Fahrverbot erteilt, weil ihnen seine rumpelnde, stinkende Kutsche ohne Pferde suspekt ist.

Seit ihrer Verlobung steht Bertha fest an Carl Benz‘ Seite. Das klingt romantischer als es ist. Die sechsköpfige Familie steckt andauernd in finanziellen Schwierigkeiten. Ihre ganze Mitgift, ihr Erbe - alles steckt Bertha in Carl und seine Tüftelei. Bertha ist lieber in der Werkstatt als in der Küche. Sie lässt sich von Carl die Technik des Motorwagens genau erklären, liefert immer wieder wichtige Denkanstöße - und lernt, selbst zu fahren. Und jetzt will sie der Welt beweisen, was ihr Mann da Großartiges erfunden hat.

(Fast) ungebremst von Mannheim nach Pforzheim

Bertha ist zwar eine treusorgende Ehefrau, aber eine wenig besorgte Mutter. Die Fahrt ist ein halsbrecherisches Unterfangen, auch wenn der Motorwagen nur wenige Kilometer pro Stunde erreicht.

Das erste Auto der Geschichte ähnelt eher einem Kutschbock: ohne Dach und ohne Anschnallgurte brettert Bertha nebst ihren minderjährigen Kindern von Mannheim zu den Großeltern nach Pforzheim. Die zwei Bremsklötze an den Hinterrädern können das Gefährt bergab kaum stoppen. Ein Wunder, dass kein Unfall passiert, niemand bei voller Fahrt vom Sitz purzelt. Dafür müssen die drei das Auto bergauf schieben und in einer Apotheke mit "Waschbenzin" tanken. Und als das Zündkabel durchgescheuert ist, isoliert Bertha es kurzerhand mit ihrem Strumpfband. Ob das den Teenie-Söhnen peinlich ist? Vermutlich ja! Aber was sollen sie gegen Mamas Unternehmungsgeist schon unternehmen? Nach 110 Kilometern und 13 Stunden Fahrt ruckeln sie endlich bei Oma und Opa in Pforzheim an. Aber sie müssen ja auch wieder zurück ... Auch das gelingt.

Bertha Benz hat mit der ersten längeren Autofahrt der Geschichte bewiesen, dass die Erfindung ihres Mannes Zukunft hat und Frauen sehr wohl hinters Steuer gehören. Später, als sie schon die Witwe des großen Erfinders Carl Benz ist, lässt sie sich nur noch chauffieren. Und hofieren - von Adolf Hitler. Bis sie bitter erkennt, in welche Katastrophe der Diktator Deutschland und die Welt führt. Und auch die Erfindung ihres Mannes entwickelt sich in eine Richtung, die Bertha nicht gefällt. Bevor sie 1944 mit 95 Jahren stirbt, spricht die zierliche Dame mit ihrer kindlichen Stimme im Radio die mahnenden Worte: "Fahrt nicht so schnell! Ihr bringt nicht nur euer eigenes Leben, sondern auch das eurer Mitmenschen in Gefahr."


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