Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. Juni 1926 Antoni Gaudí von Straßenbahn überfahren

Der Stararchitekt Antoni Gaudí war der Baumeister der weltberühmten "Sagrada Familia" in Barcelona. Am 7. Juni 1926 wurde von einer Straßenbahn überfahren. Zunächst hielten ihn die Leute für einen Bettler.Autorin: Anja Mösing

Stand: 07.06.2019 | Archiv

07 Juni

Freitag, 07. Juni 2019

Autor(in): Anja Mösing

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Doch, es gibt Momente, da kann man sogar den Tod mal kurz sportlich nehmen. Wenn man von ihm hört, wie er mal wieder so richtig unpassend ins Leben von jemandem rein gegrätscht ist. Natürlich möglichst in das Leben von jemandem, der uns eigentlich nichts angeht, einer mit dem wir nichts zu tun haben. Dann kann man sich das noch jahrzehntelang weiter erzählen. Da kann man hinschauen.

Zum Beispiel beim spanischen Architekten Antoni Gaudí. Unter den berühmten Leuten seiner Zeit kann beim Gaudí todesursachenmäßig eigentlich nur noch der Dichter Horváth mithalten. Weil der Horváth wurde beim Spaziergang vom herabfallenden Ast erschlagen. Einfach so. Bei einem Gewitter. Beim Architekten Gaudí gab´s nicht mal ein Gewitter, sondern nur eine Straßenbahn. Also von einer Naturgewalt keine Spur. Nur der Straßenverkehr hatte Schuld.

Ein bisschen unaufmerksam

Und vielleicht war der Architekt auch selbst ein bisschen unaufmerksam gewesen. Denn der Straßenbahnwagen der Linie 30 hatte ihn so dumm erwischt, dass er mitgeschleift wurde. Am 7. Juni 1926 ist das gewesen, mitten in Barcelona. Schwer

verletzt war Gaudí. Und dann hatte er sich für seinen Stadtspaziergang auch nicht gerade elegant angezogen. Künstler sind da ja manchmal schrullig. Und wie er dann so wie ein Bettler angezogen und vom Herumschleifen ganz staubig dalag, hat keiner von den Passanten in Barcelona gewusst, dass das eigentlich ein stadtbekannter Star-Architekt ist, der da vor ihren Füßen lag; schwerverletzt. Und von den Taxifahrern wollte ihn gleich gar niemand zum Krankenhaus mitnehmen. Hinterher haben sie saftige Strafen bekommen, wie er im Krankenhaus dann doch erkannt wurde. Weil ein mitleidiger Mensch hatte sich noch gefunden, um Gaudí dort hin zu bringen. Und man kann sich leicht vorstellen, was das für ein Hallo war, als einer der berühmtesten Söhne der Stadt - denn das war Antoni Gaudí mit seinen 72 Jahren schon längst - als der dann nach drei Tagen sogar an diesen Verletzungen vom Unfall starb.

Es heißt, dass Tausende Bürger an den Straßen gestanden haben, als Gaudís Sarg mit großem Trauerzug vom Krankenhaus hin zu seinem berühmtesten Bauwerk getragen wurde, wo heut noch sein Grab ist.

Immer irgendwelche Spitznamen

An dieser Kirche, die "Sagrada Familia" heißt, also "Heilige Familie", hatte Gaudi 43 Jahre als Bauherr gearbeitet. 43 Jahre! Und heute ist sie immer noch nicht fertig.

Manche sagen, vielleicht wird sie es im Jahr 2050. Und manche sagen auch, ihre vielen Glockentürme schauen ein bisschen aus, wie ein Grüppchen von riesenhaften Termitenhügeln, bloß über 120 Meter hoch.

So eine Beschreibung für seine riesige, neu-gotische Kathedrale hätte Gaudí nicht gekratzt. Denn so lange er Gebäude entworfen hatte, meinten die Leute immer, sie müssten sich irgendwelche Spitznamen für sie ausdenken: Mal sagten sie zu einem Wohnhaus "Die Pastete", weil sich die Fassade um die Fenster und Balkone herum wie dicker, glatter Teig vor und zurück wellte; mal sagten die Leute "Der Steinbruch", weil Gaudí die Fassade wie aus Felsen herausgehauen bauen ließ. Aber seine Art, ein Haus nicht anders als eine Skulptur zu behandeln, es mal pflanzenhaft wuchern zu lassen, oder es mal mit einer dicken Schlangenmauer zu umgeben, das lieben bis heute Millionen von Touristen. Und die alte arabische Idee, Kacheln nicht nur an Innen- sondern auch an Außenmauern zu verwenden wurde erst mit Gaudí wieder richtig modern.

Dass nun gerade dieser eigenwillige und moderne Mensch von einem damals ebenfalls hochmodernen Verkehrsmittel wie der Straßenbahn zu Tode gebracht wird, das passte einfach nicht zusammen. Und es verleiht seinem Ende etwas Rührendes und auch etwas Absurdes.


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