Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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9. April 1860 Älteste bekannte Tonaufzeichnung entsteht

Nein, es war nicht Edison, der das erste Gerät zur Schallaufzeichnung erfand, sondern Édouard Léon Scott de Martinville. Dem ging es mit seinem Phonautographen allerdings um das sichtbar machen von Schallwellen. Autor: Martin Trauner

Stand: 09.04.2021 | Archiv

09 April

Freitag, 09. April 2021

Autor(in): Martin Trauner

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Es ist immer die gleiche, leidige Frage: wer war nun der Erste? - Wer drehte den ersten Film, wer schoss das erste Foto oder etwa: wer machte die erste Tonaufzeichnung? -

"Dem Ersten gebührt der Ruhm, auch wenn es die Nachfolger besser gemacht haben.", sagt ein altes arabisches Sprichwort. Und das sagte auch der Franzose Édouard Léon Scott de Martinville. Er, so meinte er das zumindest, er war nun einer der sogenannten "Ersten", er allein war der Erfinder der "Phonautographie", der Tonaufzeichnung. Ihm allein also müsse der Ruhm gebühren.

Phonautographie

Und erstmal halt: "Phonautographie"? - Ein höchst kompliziertes Wort für heutige Ohren, aber ein gar nicht so kompliziertes Verfahren, um Töne aufzuzeichnen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Édouard Léon Scott de Martinville konstruierte im Jahr 1857 einen schlichten Apparat, der einem menschlichen Ohr nachempfunden war: ein Schalltrichter aus Gips, eine Membran aus Tierhaut und eine Schreibfeder aus einem Gänsekiel. Und irgendwie konnte dieser Apparat Schallwellen auf ein Blatt Papier malen, also aufzeichnen. Schöne Bilder, Sinuskurven, mehr aber auch nicht. Scott de Martinville glaubte, damit berühmt: und vor allem reich zu werden. - Wurde denn nicht vor Kurzem der Pionier der Photografie, Louis Daguerre, vom Französischen Staat mit einer stattlichen Leibrente ausgestattet? Der hatte ja nur Bilder aufgezeichnet!

Mit seinem Phonautographie-Apparat hatte Scott de Martinville keinen Erfolg. 8000 Francs investierte er in sein Gerät, verdient hat er nur 700 Francs. Den Erfolg heimste ein anderer ein: der Amerikaner Thomas Alva Edison. Der erfand gut 20 Jahre später einen Automaten, der konnte den Ton nicht nur aufzeichnen, der konnte ihn sogar wiedergeben.

Nun ja: Scott de Martinville wusste, dass Edison seine eigene Erfindung gekannt haben musste, und deswegen verfasste er eine lange Schrift, in der er Edison des Plagiats bezichtigte und vor allem, dass der Amerikaner wohl nicht verstanden hätte, um was es ihm wirklich geht.

Um was ging es denn wirklich? Er, Scott de Martinville, er war Buchhändler, Drucker, Schriftsteller, er hatte eine "Geschichte der Stenografie" veröffentlicht, ihm ging es um die Schnelligkeit des Schreibens. Ihm ging es darum, ganz im Sinne seiner Zeit, einen Automaten zu bauen, der seinen Sprachfluss in Buchstaben, in Sätze, in geschriebenes Wort umwandelt. Seine Idee: "Das Wort, das sich schreibt". Für ihn war Edisons

Sprechautomat nutzlos. Denn der produziere nur Phonoglyphen. Der kann zwar Sprache aufzeichnen und wiedergeben, aber nicht in geschriebene Sätze verwandeln.

Phonoglyphen

Ironie der Geschichte: Im Jahr 2008 rekonstruierten amerikanische Wissenschaftler mit Hilfe von Computertechnik aus den Dokumenten des Scott de Martinville, die sie in Archiven gefunden hatten, aus einer Tonaufzeichung eine Tonaufnahme: Am 9. April 1860 sang der ein französisches Volkslied in seinen Automaten. Und auch Edison sang bei seiner ersten Sprachaufzeichnung ein Lied.


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