Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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31. Dezember 1972 "Dinner for One" für immer!

"The same procedure as every year." Es läuft und läuft, seit 1972, das "Dinner for One” - besser er läuft: James, der Butler, beziehungsweise er stolpert über das Tigerfell, kleckert, zerdeppert und trinkt für alle. Skål! Autor: Herbert Becker

Stand: 31.12.2021 | Archiv

31 Dezember

Freitag, 31. Dezember 2021

Autor(in): Herbert Becker

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Genau elf Mal wird Freddie Frinton heute Abend wieder über den Tigerkopf stolpern. Aber weil Dinner for One in sämtlichen dritten Programmen der ARD läuft, und weil es im deutschen Fernsehen keinen Beitrag gibt, der auch nur annähernd so oft wiederholt wurde wie Dinner for One, und weil es sich bei Dinner for One überhaupt um die meistgezeigte TV-Produktion der Welt handelt, ist Freddie Frinton inzwischen A-ber-tau-sen-de von Malen gestolpert. Das hält der härteste Raubtierschädel nicht aus.

Nein, Tatsache: Frinton hatte den Sketch schon in den 50er und 60er Jahren an zahlreichen englischen Varietébühnen zur Aufführung gebracht und das Tigerfell immer dabei gehabt. Durch das viele darüber Stolpern war es dermaßen lädiert, dass der Knochen herausschaute. Die schadhafte Stelle musste ausgebessert werden, wozu man angeblich ein Stück Leopardenfell verwendete.

Frankenfeld sei Dank!

Weil der Tiger als Requisit ganz und gar unverzichtbar war, brachte ihn Frinton auch mit, als er 1961 mit seiner Partnerin May Warden bei einer Unterhaltungssendung im deutschen Fernsehen auftrat. Die Show wurde live ausgestrahlt, und Live-Sendungen konnten damals noch nicht aufgezeichnet werden. Aber Peter Frankenfeld, seinerzeit ein äußerst populärer Fernseh-Entertainer, sah Dinner for One, und es gefiel ihm so gut, dass er Frinton und Warden zwei Jahre später ein weiteres Mal nach Deutschland einlud, wieder zu einer Live-Show. Weil er jedoch fand, dass es das grandiose Stück verdiente, der Nachwelt erhalten zu bleiben, ließ er es in den Tagen nach der Show auf Celluloid bannen. Es entstand der Film, den wir inzwischen so gut kennen - damals allerdings blieb er weitgehend unbeachtet. Zwar lief er einmal in der ARD, einmal im NDR, doch dann verschwand er wieder im Archiv. Dort blieb er, bis ihn der NDR-Unterhaltungschef Henri Regnier hervorholte und Dinner for One am 31. Dezember 1972 zum ersten Mal zur Silvesterunterhaltung einsetzte. Miss Sophie erlebte das noch, ihr Butler James war schon ein Jahr nach der Aufzeichnung in den Kreis jener eingegangen, die bei ihrem 90. Geburtstag nur noch imaginär an der Tafel sitzen.

Same procedure as every year? Nicht in England!

Doch James hat sich unsterblich gemacht. Für Millionen von Fernsehzuschauern stolpert er weiter, zerdeppert Geschirr, verschüttet Getränke, versaut Tischdecke und Teppich, lässt die Reste des Chickens, zu dem Champagne serviert wurde, an die Wand knallen und malträtiert das Tigerfell. Eine große Versicherungsgesellschaft hat einmal ausgerechnet, wie hoch der Schaden ist, den der Butler im Verlaufe der Geburtstagsfeier anrichtet. Man kam auf über zweitausendeinhundert Euro; das ist mehr als die beiden Darsteller für ihren Auftritt bezahlt bekamen.

Übrigens ist Dinner for One zwar außer bei uns auch in Skandinavien und Tschechien, in Australien und Südafrika sowie einer ganzen Reihe weiterer Länder bekannt und beliebt - aber weder in England noch in Indien war es jemals im Fernsehen zu sehen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil England nicht nur die Heimat des englischen Humors ist, sondern auch die Heimat der beiden Darsteller war. Und Indien ... na, also, Indien dürfte immerhin das Herkunftsland des Tigers gewesen sein.


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