Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. Oktober 1923 Carl Djerassi geboren, "Vater der Pille"

Die sogenannte Anti-Baby-Pille hat die moderne Gesellschaft auf den Kopf gestellt - obwohl ihr das selbst überhaupt nicht geheuer war. Dem Chemiker Carl Djerassi, geboren am 29. Oktober 1923, war es gelungen, den Grundstoff für das Verhütungsmittel in Pillenform zu entwickeln.

Stand: 29.10.2018 | Archiv

29 Oktober

Freitag, 29. Oktober 2010

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Sie ist kein Medikament für Kranke, sondern ein hochwirksames Präparat für Gesunde. Und sie schützt nicht vor Krankheit, sondern vor Schwangerschaft. Millionen von Frauen weltweit nehmen sie täglich - die Pille aller Pillen mit dem irgendwie fiesen Namen "Anti-Baby-Pille".

Während Frauen die innovative Wirkstoffkombination mit Beginn der 60er-Jahre hierzulande eifrig zu schlucken begannen und sich um den Namen des neuartigen Verhütungsmittels herzlich wenig scherten, würgten die Männer schwer an der Bezeichnung: Katholische Kreise fanden den Namen grob und unmenschlich und darüber hinaus ohnehin jede Form künstlicher Empfängnisverhütung sündhaft. „Anti-Baby-Pille“ - der schnoddrige Mischmasch aus Griechisch und Englisch versetzte aber auch die Ärzteschaft in Sorge: "Anti-Baby-Pille", das klänge doch verdächtig nach Vernichtungsmittel, sprachlich auf einer Stufe mit "Anti-Wurm-Mittel", und ein Kind sei schließlich kein Parasit. Kritik am öffentlichen Sprachgebrauch übte schließlich sogar die Bundesregierung: Die CDU sah Artikel 1 des Grundgesetzes in Bausch und Bogen in Gefahr und die unantastbare "Würde des Menschen" durch den "barbarischen Sprachgebrauch" bedroht. Dem Versuch, das umstrittene Verhütungsmittel kurzerhand in "Wunschkind-Pille" umzubenennen, war allerdings kein Erfolg beschieden. Als "Anti-Baby-Pille" blieb und bleibt sie bis heute in aller Munde.

Nun war es natürlich so, dass man bei der Markteinführung in Deutschland mit vehement geführten öffentlichen Debatten durchaus gerechnet hatte. Der Pharmakonzern Schering hatte die Verhütungs-Pille deshalb ganz bewusst zunächst einmal testweise und zwar gezielt auf der anderen Seite des Erdballs unters Volk gebracht: in Australien. Wenn "auf moralischem Sektor" dort etwas schiefginge, so formulierte Schering weitblickend, könne man zumindest davon ausgehen, dass die Öffentlichkeit hierzulande nichts davon erführe. Doch die Rückmeldungen aus Australien waren dann so ermutigend, dass der Pharma-Riese seine Werbebroschüren auch in deutscher Sprache in Druck geben konnte.

Von "Verhütung" war auf dem Beipackzettel allerdings noch lange keine Rede. Anovlar, so der Name des ersten Pillen-Präparats, wurde vertrieben als Medikament gegen "Menstruationsstörungen". Dass die Kombination aus weiblichen Sexualhormonen den Eisprung unterbinden und damit für den Zeitraum der Einnahme zu Unfruchtbarkeit führen würde, das war nur im Kleingedruckten unter "Risiken und Nebenwirkungen" aufgeführt. Doch obwohl von Empfängnisverhütung an keiner Stelle die Rede war, so wurde Anovlar doch in geschätzten 95 Prozent genau dafür genutzt. Allerdings: Ein Pillen-Rezept blieb zunächst verheirateten Frauen mit wenigstens zwei Kindern vorbehalten. Und allen anderen blieb die Option, sich das anstößige Präparat für überteuerte Preise auf dem Schwarzmarkt zu besorgen.

Von den verschwurbelten Moraldebatten weltfremder Mediziner, patriarchalischer Politiker und reaktionärer Kirchenmänner war einer freilich am meisten überrascht: der sogenannte "Vater der Pille", Carl Djerassi, geboren am 29. Oktober 1923. Er war der österreichisch-amerikanische Chemiker, dem es in den 50er-Jahren gelungen war, ein Hormon herzustellen, das oral wirksam war, also nicht gespritzt werden musste. Dass es sich bei dem künstlich fabrizierten Pillenwirkstoff um einen bahnbrechenden Stoff handelte, der eine ganze Gesellschaft in Wallung bringen würde, das war Djerassi nicht einmal in seinen wildesten Träumen eingefallen. 


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