Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. April 1893 Erster Oberleitungsbus der Welt vorgeführt

Mit dem schienenlosen Gefährt erfüllte sich Werner Siemens einen alten Traum. Am 29. April 1882 stellte der Erfinder seine "Elektromote" der Öffentlichkeit vor. Die elektrisch betriebene Wagonette war der Urahn des Oberleitungsbusses.

Stand: 29.04.2011 | Archiv

29 April

Freitag, 29. April 2011

Autor: Hellmuth Nordwig

Sprecher: Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

"Wenn ich mal Muße und Geld habe ...", diesem Stoßseufzer hört man an, dass er von Herzen kommt. Wie sollte es auch anders sein bei einem, der als viertes Kind in die Familie eines verarmten Gutspächters geboren wird. Der das Abitur sausen lässt, weil das Geld für ein Studium sowieso nicht gereicht hätte. Sich dann bei der Artillerie verdingt, weil ihn das Ingenieurkorps der preußischen Armee abblitzen lässt. Ausgerechnet ihn, den Technikbegeisterten. Der nach dem Tod der Eltern im Alter von 24 Jahren für 13 Geschwister sorgen muss. Und den die unbequemen Kutschenfahrten zwischen der Kaserne in Berlin und dem Heimatdorf in der Nähe von Wismar wohl nachhaltig geprägt haben.

"Wenn ich mal Muße und Geld habe, will ich mir eine elektromagnetische Droschke bauen, die mich gewiss nicht im Dreck sitzen lässt."

Offizier Werner Siemens.

Nach dem Motto: Man wird ja noch träumen dürfen. Denn in den 1840er-Jahren war ein Elektroantrieb nichts weiter als eine verrückte Idee. Der echte Fortschritt dampfte zu jener Zeit - Dampflokomotiven setzten sich durch, dampfbetriebene Schiffe und Pflüge, ja sogar ein Dampfluftschiff wurde gebaut. Siemens aber glaubte an die Elektrizität. Aus seiner Soldatenkammer machte er ein Labor und nutzte jede freie Minute zum Basteln. Mit Erfolg: Sein Zeigertelegraf machte ihn mit einem Schlag berühmt. Hatte doch Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1849 dank dieser Erfindung sofort in Berlin erfahren, dass ihm die Nationalversammlung im fernen Frankfurt am Main die Kaiserwürde antragen wollte.

Endlich konnte Werner Siemens den Offiziersrock an den Nagel hängen. Muße hatte er immer noch nicht, aber wenigstens fehlte es nicht mehr an Geld. Sein Unternehmen überzog den Globus mit Telegrafenleitungen, bereicherte Berlin um die elektrische Straßenbeleuchtung und ein Haus in Mannheim um einen Aufzug, bei dem man nur noch auf den Knopf drücken musste. Und auch die Elektro-Motoren machten Fortschritte bei Siemens: Auf eine Lokomotive und eine Straßenbahn folgte am 29. April 1882 in Halensee bei Berlin die erste Vorführung eines Gefährts namens "Electromote". Eine abenteuerliche Konstruktion: Fotos zeigen einen offenen Landauer, darauf fünf stolze Herren mit Frack und Zylinder. In der Mitte des Wagens prangt ein Mast, von dem ein Kabel zu einer Oberleitung führt. Werner Siemens hatte seinen Traum verwirklicht und ein elektrisch betriebenes Verkehrsmittel konstruiert, das nicht auf Schienen fuhr. 540 Meter weit, länger war die Leitung nicht. Wer aber allen Ernstes behauptet, diese umgebaute Kutsche sei der erste Oberleitungsbus der Welt gewesen, der kennt entweder die Bilder nicht, oder hat eine blühende Fantasie.

Doch das Prinzip war geboren. Und auf der Pariser Weltausstellung von 1900 transportierten dann tatsächlich die ersten "Obusse" die Besucher durchs Gelände. Ein Jahr später nahm eine "gleislose Bahn" in Eberswalde den Linienverkehr auf. Der währte leider nur drei Monate lang, dann waren die Räder auf dem Kopfsteinpflaster endgültig ruiniert. Nicht viel besser ging es den Fahrzeugen auf Dutzenden weiterer Strecken zwischen Mülhausen und Hermannstadt.

Erst Gummireifen und geteerte Straßen brachten den Durchbruch für das neue Verkehrsmittel, das die Berliner "Strippenbus" nannten, die Salzburger "Stanglbus" und die Australier den "flüsternden Tod". Kein Wunder, hatte der doch von Anfang an eine geräuschvolle Konkurrenz: Busse mit Dieselmotoren und Straßenbahnen, die man natürlich gleich hört, wenn sei von hinten kommen - im Gegensatz zum Obus. Trotzdem hat der "Obus" mancherorts bis heute überlebt. In Eberswalde sogar als behindertengerechtes Niederflurfahrzeug.


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