Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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28. Dezember 1978 Schneekatastrophe in Norddeutschland

Es begann mit ein paar Schneeflocken am 28. Dezember 1978. Tage später waren Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern im Schneechaos versunken. Die Menschen traf die Katastrophe ohne Vorwarnung des Wetterberichts. Jetzt halfen nur noch Einfallsreichtum und Solidarität.

Stand: 28.12.2010 | Archiv

31 Mai

Dienstag, 31. Mai 2011

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Die Alten zogen Parallelen zum Hungerwinter 1946/47. Aber der Jahreswechsel 1978/79 ging nicht wegen seiner Kälte in die Annalen ein, sondern wegen der ungeheuren Schneemengen, die mehr oder weniger überraschend vom Himmel fielen. Auch für die Meteorologen. Denn es gab keinerlei Warnungen, keine Empfehlungen, sich Vorräte anzulegen oder besser zu Hause zu bleiben. An Weihnachten herrschte noch Tauwetter. Im Laufe des 28. Dezember 1978 jedoch begann es in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern heftig zu schneien.

Und es hörte nicht mehr auf. Hinzu kam ein böig-kalter Wind aus Nordost, der sich zu einem gewaltigen Sturm steigerte. Auf Rügen fiel das Thermometer innerhalb kurzer Zeit um 25 Grad. Die Ostsee fror zu, die Schifffahrt musste eingestellt und Dämme gesperrt werden. Die Wetterforscher machten ein genau über Norddeutschland auf eisige Polarluft stoßendes Hochdruckgebiet für die Naturkatastrophe verantwortlich. Bis zu sechs Meter tiefe Schneeverwehungen brachten den Verkehr fast vollständig zum Erliegen. Für herkömmliche Räumfahrzeuge gab es bald kein Fortkommen mehr. Ohne den Einsatz der Bundeswehr im Westen und der Nationalen Volksarmee im Osten hätte es wohl mehr als die - offiziell genannten - insgesamt 22 Toten in beiden Teilen Deutschlands gegeben.

Tausende von Hilfskräften waren rund um die Uhr im Einsatz, um Dialyse-Patienten zu bergen oder Lebensmittel einzufliegen. So manche Frau kam notgedrungen zu Hause nieder. Andere standen tagelange Wehen durch, bis ein Helikopter sie endlich ins nächste Krankenhaus zum Kaiserschnitt brachte. 70 so genannte "Heli-Babys" zählte man während der knapp einwöchigen Ausnahmesituation. Beinahe schlimmer noch als die Schneemassen wirkte sich hier und dort der Stromausfall aus. Zunächst waren nur einige Überlandleitungen gerissen, dann aber brachen auch Betonmasten unter der Last zusammen. Ein Drama für einige Bauern. Denn ihre Melkmaschinen standen nun still und die prallen Euter der Milchkühe konnten nicht per Hand gemolken werden. Das Vieh in den Ställen schrie erbärmlich. Bis die Rettungsmannschaften mit Notgeneratoren zu den einsam gelegenen Gehöften vordrangen, verging eine schier endlose Zeit.

Die klimatischen Kapriolen führten so manche zivilisatorische Errungenschaft ad absurdum. Nachdem die Oberleitungen der Kohlebahnen in der Lausitz vereist waren, gefror dort die Braunkohle in den stehenden Waggons. Weil deshalb die Strom- und Fernwärmeversorgung in der gesamten DDR teilweise zusammenbrach, sprang die Regierung über ihren Schatten und bestellte beim westdeutschen Otto-Versand 500 Bohrhämmer, um das Problem möglichst schnell beheben zu können.

Die außergewöhnliche Wetterlage über Norddeutschland, die sich einige Wochen später, im Februar 1979, fatalerweise wiederholte, produzierte eine volkswirtschaftliche Schadenssumme von 140 Millionen Mark. Aber die Katastrophe bewirkte auch Schönes. Einmal abgesehen von den bizarren Gebilden, die Eis und Schnee aus der Sassnitzer Mole zum Beispiel schufen: Die Menschen rückten enger zusammen, nicht nur, um sich bei einem steifen Grog zu wärmen. Hobbyfunker stellten der Allgemeinheit ihr Know-How zur Verfügung. Alte Holzöfen kamen wieder zu Ehren. Solidarität und Kreativität blühten auf. Obwohl sich das Leben bald wieder normalisierte, blieb dieser Winter auch wegen seiner 67 Tage lang geschlossenen Schneedecke rekordverdächtig. Erst zu Beginn des Monats März zeigte sich das satte Grün der Weiden wieder, für das die norddeutsche Tiefebene eigentlich bekannt ist.


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